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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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– Ihre Stimme ist so nahe. Sie sind in der Telefonzelle an der Ecke, ich höre es!«
    Die Türklingel schlug an, so kurz, als sei draußen ein Bekannter.
    Die Frau bedeutete den andern mit dem Kopf, aufzumachen, während sie am Telefon weiterredete: »Nein, ich bin nicht allein. Sie hören es ja. Aber kommen Sie nur. Kommen Sie!«
    Zur offenen Tür traten Bruno und Franziska herein.
    Franziska sagte zur Frau: »Und wir dachten, den einsamsten Menschen auf Erden hier zu treffen.«
    Die Frau: »Ich entschuldige mich für den Zufall, heute abend nicht allein zu sein.«
    Franziska, zum Kind: »Ich habe einen Namen. Sag also nicht ›die Lehrerin‹, wenn du von mir redest, wie gerade am Telefon.«
    Der Verleger: »Dann will auch ich ab jetzt nicht immer ›der Verleger‹ heißen, sondern Ernst.«
    Die Frau umarmte Bruno.
    Der Verleger kam herzu und sagte zu Franziska: »Umarmen wir einander doch auch!«, und legte schon die Arme um sie.
    Die Frau trat vor die Tür auf die Gasse, wo langsamder Schauspieler herunterkam. Sie ließ ihn stumm ins Haus.
    Bruno betrachtete ihn und sagte dann: »Sind Sie der Freund?« Und dann: »Sie schlafen mit meiner Frau, was? Zumindest sind Sie drauf aus, nicht wahr?«
    Er starrte wie im Büro: »Sie sind wohl einer von denen, die einen alten Kleinwagen fahren und hinten auf dem Rücksitz diese politischen Nacktzeitschriften liegen haben?«
    Er starrte. »Ihre Schuhe sind auch nicht geputzt. Aber wenigstens blond sind Sie. Haben Sie vielleicht auch noch blaue Augen?« Er starrte weiter und entspannte sich plötzlich; die Frau stand ruhig daneben.
    Er sagte: »Wissen Sie, ich rede nur so dahin, ohne Bedeutung.«
    Sie waren alle im Wohnraum. Der Verleger tanzte mit der Verkäuferin. Der Fahrer kam mit mehreren Champagnerflaschen vom Wagen zurück. Er ging dann anstoßend von einem zum andern.
    Das Kind spielte zwischen ihnen am Boden. Bruno hockte sich dazu und betrachtete es.
    Das Kind: »Spielst du mit mir?«
    Bruno: »Ich kann heute abend nicht spielen.« Er würfelte ein bißchen und sagte: »Wirklich, ich kann heute abend nicht spielen!«
    Die Verkäuferin löste sich vom Verleger und beugte sich herab, um mitzuwürfeln; tanzte weiter,würfelte dazwischen wieder mit dem Kind.
    Der Verleger und Franziska, ihre gefüllten Gläser in der Hand, gingen im Kreis umeinander herum.
    Bruno schnitt dem Kind im Badezimmer die Fußnägel.
    Der Verleger und Franziska gingen im Flur lächelnd langsam aneinander vorbei.
    Bruno stand neben dem Kind, das im Bett lag. Das Kind sagte: »Ihr seid alle so seltsam still.« Bruno stand noch da, neigte nur den Kopf zur Seite; machte dann das Licht aus.
    Er ging mit der Frau durch den Flur zu den andern. Der Schauspieler kam ihnen entgegen, und Bruno legte den Arm um die Schulter seiner Frau; tat ihn wieder weg.
    Der Schauspieler sagte zu ihr, er habe sie gesucht.
    Sie saßen alle im Wohnraum; redeten wenig. Trotzdem schienen sie immer mehr ohne Aufforderung zueinander zu rücken und blieben eine Zeitlang auch so.
    Die Verkäuferin legte den Kopf in den Nacken und sagte: »Was für ein langer Tag das heute war! Ich hatte schon keine Augen mehr im Kopf – nur noch Löcher, die brannten. Jetzt mildert sich der Schmerz, und ich sehe allmählich wieder etwas.«
    Der Fahrer neben ihr machte eine Bewegung, alswollte er ihr ins Haar greifen; ließ die Hand dann sinken.
    Der Verleger kniete vor die Verkäuferin hin und küßte ihr einzeln die Fingerspitzen.
    Der Fahrer zeigte allen nacheinander Fotos, die er aus seiner Brieftasche nahm. Franziska sagte zur Verkäuferin: »Warum treten Sie nicht einer Partei bei?«
    Die Verkäuferin schwieg nur und umarmte Franziska plötzlich; diese löste sich und sagte, indem sie zur Frau hinblickte: »Das Alleinsein verursacht den eisigsten, ekligsten Schmerz: den der Wesenlosigkeit. Dann braucht man Leute, die einem beibringen, daß man doch noch nicht ganz so verkommen ist.«
    Der Fahrer nickte kräftig und schaute den Verleger an; der hob die Arme und sagte: »Ich habe nicht widersprochen.«
    Die Verkäuferin summte die Musik mit; dann legte sie sich auf den Boden und streckte die Beine aus.
    Der Fahrer kam mit einem Notizblock und fing an, sie alle zu zeichnen.
    Franziska wollte den Mund öffnen, doch der Fahrer sagte: »Bitte bewegen Sie sich nicht!« Franziska machte den Mund wieder zu.
    Sie schwiegen alle; tranken; schwiegen wieder.
    Plötzlich lachten sie gleichzeitig.
    Bruno sagte zu dem Schauspieler: »Wissen
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