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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Knickerbockern umgedreht. Bruno drängte die Frau in die Telefonzelle, wo er sich dann plötzlich entschuldigte.
    Er schaute sie lange an: »Soll dieses Spiel denn immer weitergehen, Marianne? Ich mag jedenfalls nicht mehr mitspielen.«
    Die Frau antwortete: »Jetzt fang nur nicht an, von dem Kind zu reden.« Er schlug sie, ohne sie in derEnge der Zelle richtig zu treffen. Dann machte er eine Geste, als ob er die Hände vors Gesicht legen wollte, ließ sie aber gleich sinken: »Franziska meint, du wüßtest gar nicht, was du tust. Sie sagt, du seist ohne Bewußtsein von den historischen Bedingungen deiner Handlungsweise.« Er lachte. »Weißt du, wie sie dich nennt? – Privatmystikerin. Ja, eine Mystikerin bist du. Mystikerin! Pfui Teufel. Du bist krank. Ich habe zu Franziska gesagt, ein paar Elektroschocks würden dich wieder zur Vernunft bringen.«
    Darauf schwiegen sie lange. Dann sagte die Frau: »Du kannst natürlich immer kommen, am Wochenende zum Beispiel, und Stefan für den Zoo abholen. Oder fürs historische Museum.«
    Sie sagten wieder nichts. Plötzlich zog Bruno eine Fotografie seiner Frau hervor, hielt sie ihr hin und zündete sie dann mit einem Feuerzeug an. Die Frau versuchte nicht zu lächeln, schaute woandershin; lächelte dann doch.
    Bruno trat hinaus und warf das verbrannte Foto weg; sie kam nach. Er blickte sich um und sagte ruhig: »Und ich? Glaubst du, ich existiere nicht? Bildest du dir ein, von allen Menschen seist nur du am Leben? Ich lebe auch, Marianne. Ich lebe!« In diesem Moment zog die Frau Bruno, der auf die Straße geraten war, vor einem Auto zurück.
    Bruno fragte: »Brauchst du Geld?« und holte ein paar Geldscheine hervor.
    Die Frau: »Wir haben doch ein gemeinsames Konto. Oder hast du es sperren lassen?«
    Bruno: »Natürlich nicht. Aber nimm es trotzdem, auch wenn du es nicht brauchst. Bitte.« Er hielt ihr das Geld hin, und schließlich nahm sie es, worauf beide erleichtert aussahen. Im Weggehen bat er sie, Stefan von ihm zu grüßen, und sie nickte und meinte, daß sie ihn bald im Büro besuchen würde.
    Von weitem rief Bruno noch einmal über die Schulter zurück: »Sei mir nicht zuviel allein. Sonst stirbst du mir eines Tages daran.«
    Zuhause stand die Frau vor dem Spiegel und schaute sich lange in die Augen; nicht um sich zu betrachten, sondern als sei das eine Möglichkeit, über sich in Ruhe nachzudenken.
    Sie begann, laut zu sprechen: »Meint, was ihr wollt. Je mehr ihr glaubt, über mich sagen zu können, desto freier werde ich von euch. Manchmal kommt es mir vor, als ob das, was man von den Leuten Neues weiß, zugleich auch schon nicht mehr gilt. Wenn mir in Zukunft jemand erklärt, wie ich bin – auch wenn er mir schmeicheln oder mich bestärken will – werde ich mir diese Frechheit verbitten.« Sie reckte die Arme: ein Loch zeigte sich im Pullover unter einer Achsel; sie schob einen Finger hinein.
    Von einem Moment zum andern begann sie dieMöbel umzustellen; das Kind half ihr dabei. Beide standen dann in verschiedenen Ecken und betrachteten die veränderten Räume. Draußen fiel ein heftiger Winterregen, der wie Hagel auf der harten Erde hüpfte. Das Kind schob einen Teppichkehrer kreuz und quer; die Frau, barhaupt auf der Terrasse, putzte die große Fensterfront mit alten Zeitungen. Sie vereilte Fleckenschaum auf dem Auslegeteppich. Sie warf Papiere und Bücher in einen Abfallsack, neben dem schon ein paar volle, zugebundene Säcke lehnten. Sie reinigte mit einem Lappen den Briefkasten vor der Haustür; stand im Wohnraum unter der Lampe auf einer Leiter, schraubte eine Birne heraus, eine neue ein, die viel heller war.
    Am Abend strahlte der Raum, und der braungebeizte Tisch, nun mit einem weißen Tischtuch versehen, war gedeckt für zwei; in der Mitte brannte eine dicke gelbe Bienenwachskerze, an der das Wachs hörbar schmorte. Das Kind faltete die Servietten und stellte sie auf die Teller. Bei leiser Tafelmusik (»Tafelmusik in der Wohneinheit«, war der Ausdruck Brunos gewesen) setzten sie sich einander gegenüber. Als beide gleichzeitig die Servietten auffalteten, stutzte die Frau, und das Kind fragte, ob sie wieder beklommen sei. Die Frau schüttelte lange den Kopf, verneinend und zugleich sich wundernd; nahm den Deckel von der Schüssel.
    Beim Essen erzählte das Kind: »Es gibt was Neues in der Schule. Unsere Klasse braucht jetzt nur noch vier Minuten, um Mäntel und Schuhe auszuziehen – Pantoffel und Schulkittel anzuziehen. Der Direktor hat heute die
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