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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Frau sah Bruno lange an. Obwohl sie ganz ernst war, leuchtete ihr Gesicht, kaum wahrnehmbar.
    Der Kellner kam zurück und sagte mit einer Stimme, als habe er sich beeilt: »Hier ist der Schlüssel für das Turmzimmer. Es haben Staatsleute darin geschlafen; hoffentlich stört Sie das nicht?« Bruno winkte ab, und der Kellner fügte ohne Anzüglichkeit hinzu: »Ich wünsche Ihnen eine schöne Nacht. Hoffentlich stört Sie die Turmuhr nicht; der große Zeiger raschelt nämlich jede Minute.«
    Als Bruno die Zimmertür aufsperrte, sagte er sehr ruhig: »Heute abend kommt es mir vor, als ob sich alles erfüllte, was ich mir je gewünscht habe. Als ob ich mich von einem Glücksort zum anderen zaubern könnte; ohne Zwischenstrecke. Ich fühle jetzt eine Zauberkraft, Marianne. Und ich brauche dich. Und ich bin glücklich. Es sirrt alles in mir nur so vor Glück.« Er lächelte sie überrascht an. Sie traten ins Zimmer und machten schnellüberall Licht, auch im Vorraum und Bad.
    Im ersten Morgengrauen war die Frau schon wach. Sie schaute zum Fenster hin, das ein wenig offenstand, bei aufgezogenen Vorhängen; Winternebel kam herein. Der Turmuhrzeiger klickte. Sie sagte zu Bruno, der an ihrer Seite schlief: »Ich möchte nach Hause.«
    Er verstand sofort, im Schlaf.
    Sie gingen langsam den Weg hinunter, der aus dem Park führte; Bruno hatte den Arm um sie gelegt. Dann lief er weg und schlug einen Purzelbaum auf dem hartgefrorenen Rasen.
    Die Frau blieb auf einmal stehen, schüttelte den Kopf. Bruno, der schon etwas weiter war, schaute fragend zu ihr zurück. Sie sagte: »Nichts, nichts!«, und schüttelte wieder den Kopf. Sie sah Bruno lange an, als helfe sein Anblick ihr, nachzudenken. Darauf näherte er sich ihr, und sie blickte weg zu den mit Rauhreif bedeckten Bäumen und Büschen des Parks, die jetzt kurz der Morgenwind schüttelte.
    Die Frau sagte: »Mir ist eine seltsame Idee gekommen; eigentlich keine Idee, sondern eine Art – Erleuchtung. Aber ich will nicht davon reden. Gehen wir nach Hause, Bruno, schnell. Ich muß Stefan zur Schule fahren.« Sie wollte weiter, aber Bruno hielt sie auf: »Wehe, wenn du es nicht sagst.«
    Die Frau: »Wehe dir, wenn ich es sage.« Gleichzeitig mußte sie über den Ausdruck lachen. Sieschauten einander sehr lange an, erst unernst, dann nervös, erschreckt, schließlich gefaßt.
    Bruno: »So, jetzt sag es.«
    Die Frau: »Ich hatte auf einmal die Erleuchtung« – sie mußte auch über dieses Wort lachen –, »daß du von mir weggehst; daß du mich allein läßt. Ja, das ist es: Geh weg, Bruno. Laß mich allein.«
    Nach einiger Zeit nickte Bruno lange, hob die Arme zur halben Höhe und fragte: »Für immer?« Die Frau: »Ich weiß es nicht. Nur weggehen wirst du und mich alleinlassen.« Sie schwiegen.
    Dann lächelte Bruno und sagte: »Erst einmal kehre ich jedenfalls um und trinke im Hotel eine Tasse heißen Kaffee. Und heute nachmittag hole ich meine Sachen ab.«
    Die Frau antwortete ohne Boshaftigkeit, eher fürsorglich: »Für die ersten Tage kannst du sicher zu Franziska ziehen. Ihr Lehrerkollege hat sie gerade verlassen.«
    Bruno: »Ich werde es mir beim Kaffee überlegen.« Er ging zum Hotel zurück, und sie verließ den Park.
    In der langen Allee, die zu der Siedlung hinausführte, machte sie einen Hüpfschritt; fing auf einmal zu laufen an. Zuhause zog sie die Vorhänge auf, schaltete den Plattenspieler an und bewegte sich wie tanzend, bevor noch die Musik einsetzte. Das Kind kam dazu, im Pyjama, und fragte: »Was machst du denn da?« Die Frau: »Ich bin beklommen,glaube ich.« Und dann: »Zieh dich an, Stefan. Es ist Zeit für die Schule. Ich mache dir inzwischen die Toastbrote.« Sie ging zu dem Spiegel im Flur und sagte: »Jesus – Jesus – Jesus.«
    Es war ein heller Wintermorgen, wo aus dem aufreißenden Nebel Flocken wie Schnee fielen, nur langsamer, spärlicher. Vor der Schule traf die Frau ihre Freundin, die Lehrerin Franziska, eine kräftige Person mit kurzen blonden Haaren und einer Stimme, die man aus jeder Menschenansammlung heraushörte, auch wenn sie gar nicht laut sprach. Sie redete fast nur in Meinungen, aber nicht aus Überzeugtheit, sondern aus Sorge, daß Gespräche sonst als Tratsch erscheinen würden.
    Die Schulglocke läutete gerade. Franziska begrüßte das Kind mit einem Schulterschlag und sagte zu der Frau, als der Junge im Tor verschwunden war: »Ich weiß alles. Bruno hat mich gleich angerufen. Ich habe zu ihm gesagt: Endlich ist deine Marianne
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