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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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mit dem Kind nur so ausführlich, um nicht auf mich eingehen zu müssen. Warum spielen Sie das Mutter-Kind-Spiel? Haben Sie denn was von mir zu befürchten?«
    Die Frau schob das Kind weg und sagte: »Vielleicht haben Sie recht«, und zum Kind: »Geh schlafen.«
    Dieses reagierte nicht; darauf hob sie es auf und trug es weg.
    Als sie allein zurückkam, sagte sie: »Stefan hat heute keine Lust zu schlafen. Der Champagner erinnert ihn an Silvester, wo er immer bis nach Mitternacht wach bleiben durfte.« Der Verleger zog die Frau zu sich herunter auf den breiten Sessel; sie ließ es wie nachsichtig geschehen.
    Der Verleger fragte langsam: »Welches war Ihr Glas?«
    Sie zeigte, und er nahm es: »Ich möchte jetzt aus Ihrem Glas trinken, Marianne.« Dann roch er an ihrem Haar: »Es gefällt mir, daß Ihr Haar nur nach Haar riecht. Es ist kein Geruch, sondern wird sofort ein Gefühl. Und es gefällt mir auch, wie Sie gehen: es ist kein besonderer Gang, wie sonst bei Frauen; Sie gehen einfach nur, und das ist schön.«
    Die Frau lächelte für sich, wendete sich dann zu ihm und erzählte, als ob sie jetzt Lust zu reden hätte: »Einmal war eine Frau hier, eine Dame. Sie spielte mit Stefan; der schnüffelte plötzlich an ihren Haaren und sagte: ›Du riechst!‹ Die Frau fragte ganz erschrocken: ›Nach Küche?‹ ›Nein, nach Parfum‹, sagte er – und da war die Dame ganz erleichtert.«
    Nach einiger Zeit schaute der Verleger sie an und fixierte sie, als wüßte er nicht weiter. Das Kind rief nach ihr, aber sie reagierte nicht, schaute wie neugierig zurück. Der Verleger blickte an ihr herunter: »Sie haben eine Laufmasche.« Sie machte eine Handbewegung, daß ihr das gleichgültig sei, und als das Kind jetzt wieder nach ihr rief, stand sie auf, ging aber nicht sofort weg.
    Indem sie sich nachher auf den alten Platz zurücksetzte, dem Verleger gegenüber, sagte sie: »Was mich an dem Haus hier stört, ist die Art, wie man abbiegen muß, um von einem Raum in den andern zu kommen: immer im rechten Winkel, noch dazu immer nach links. Ich weiß nicht, warum diese Bewegungsart mich so verdrießlich macht; sie quält mich geradezu.« Der Verleger sagte: »Schreiben Sie doch davon, Marianne. Sonst gibt es Sie eines Tages plötzlich nicht mehr.«
    Das Kind rief zum dritten Mal, und sie ging sofort zu ihm.
    Der Verleger, allein, sah müde aus. Der Kopf sankihm ein wenig zur Seite. Er straffte sich; lächelte dann, wie über sich selber, ließ es zu, daß sein Körper wieder schlaff wurde, sein Rücken krumm.
    Die Frau kam zurück; blieb vor ihm stehen. Er schaute zu ihr auf. Sie legte ihm die Hand auf die Stirn; setzte sich dann ihm gegenüber. Er nahm ihre Hand, die auf dem Tisch lag, und küßte sie. Sie schwiegen lange.
    Sie sagte: »Soll ich Ihnen Musik machen?« Der Verleger schüttelte sofort leicht den Kopf, als hätte er die Frage erwartet. Sie schwiegen. Der Verleger: »Läutet bei Ihnen denn nie das Telefon?«
    Die Frau: »In den letzten Tagen kaum mehr. Im Winter überhaupt ganz selten. Vielleicht im Frühjahr wieder?«
    Nach einer langen Stille sagte sie: »Ich glaube, jetzt ist Stefan eingeschlafen.« Und dann: »Wenn Sie nicht sozusagen eben mein Arbeitgeber geworden wären, würde ich es wagen, Ihnen zu zeigen, wie müde ich bin.«
    Der Verleger: »Und außerdem ist ja die Flasche leer.«
    Er stand auf, und sie begleitete ihn zur Tür. Er nahm seinen Mantel und stand mit gesenktem Kopf; straffte sich. Plötzlich nahm sie ihm den Mantel wieder aus der Hand und sagte: »Ach trinken wir noch ein Glas. Gerade hatte ich das Gefühl, jede Minute allein entgehe einem etwas,das nie mehr nachholbar ist. Sie wissen, der Tod. Verzeihen Sie dieses Wort. Das hat mir jedenfalls jetzt wehgetan. Ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch. In der Küche ist noch eine Flasche roter Burgunder. Er ist schwer, und man schläft gut danach.«
    Sie standen im Wohnraum am Fenster und tranken den roten Wein. Die Vorhänge waren nicht zugezogen; sie blickten in den Garten, wo es schneite.
    Der Verleger erzählte: »Kürzlich habe ich mich von einer Freundin getrennt, auf eine so seltsame Weise, daß ich es Ihnen erzählen möchte. Wir fuhren nachts im Taxi. Ich hatte den Arm um sie gelegt, und wir schauten beide zur gleichen Seite hinaus. Es ging uns gut. Sie müssen auch noch wissen, daß es sich um ein sehr junges Mädchen handelte, kaum zwanzig Jahre alt, und ich hing sehr an ihr. Da sah ich im Vorbeifahren ganz kurz auf dem Bürgersteig
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