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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wird gerade geputzt.«
    Die Frau: »Gestern wurde doch auch schon geputzt?« Das Kind zuckte die Schultern; sie wendete sich wieder der Arbeit zu.
    Die Kinder blieben in der Tür stehen. Obwohl sie sich nicht rührten, merkte das die Frau und drehte sich nach ihnen um.
    Später, während sie schrieb, kam aus dem Nachbarzimmer der Lärm einer Platte: Schauspielerstimmen machten kreischend Kinder und Kobolde nach. Sie stand auf und ging durch den Flur in das Zimmer; dort drehte sich auf einem kleinen Apparat die Platte, niemand war zu sehen. Sie schaltete das Gerät aus, und im selben Augenblick stürzten die Kinder mit Schreien hinter den Vorhängen hervor, wie um die Frau zu erschrecken; was auch, da sie zudem die Kleider getauscht hatten, gelang.
    Sie sagte zu ihnen: »Hört, was ich da tue, ist eine Arbeit, auch wenn es für euch vielleicht nicht so aussieht. Es ist wichtig für mich, ein bißchen ungestört zu sein. Ich kann dabei nämlich nicht an anderes denken, wie zum Beispiel beim Kochen.« Die Kinder schauten vor sich hin und fingen nacheinander zu grinsen an.
    Die Frau: »Versteht mich, bitte.«
    Das Kind: »Kochst du uns jetzt etwas?«
    Die Frau senkte den Kopf; dann sagte das Kind böse: »Ich bin auch traurig, nicht nur du.«
    Sie saß im Schlafzimmer vor der Schreibmaschine; ohne zu tippen. Es war still im Haus. Vom Flur her näherten sich die Kinder, flüsternd und kichernd. Auf einmal schob die Frau die Schreibmaschine zur Seite, und diese fiel zu Boden.
    In einem Großeinkaufs-Markt in der Nähe stapelte sie Riesenpakete in den Großeinkaufs-Wagen, diesen von einer Abteilung der Riesenhalle zur andern schiebend, bis er übervoll war. In einer langen Reihe stand sie mit vielen Leuten an der Kasse; die Wagen der Kunden vor ihr so voll wie der ihre. Auf dem Parkplatz vor dem Großmarkt schob sie das schwere Gefährt, dessen Räder sich immer wieder querstellten, zum Auto. Sie lud das Auto voll, auch die hinteren Sitze, so daß sie nicht mehr zum Rückfenster hinausschauen konnte. Zuhause lagerte sie die Sachen im Keller, weil alle Kästen und die Tiefkühltruhe schon gefüllt waren.
    In der Nacht saß sie im Wohnraum des Bungalow am Tisch und spannte ein Blatt Papier in die Maschine; saß still davor. Nach einiger Zeit legte sie die Arme auf die Maschine; dann den Kopf auf die Arme.
    Später in der Nacht saß sie in der gleichen Haltung da, jetzt schlafend.
    Sie wachte auf, schaltete die Lampe aus, ging aus dem Raum. Auf ihrer Wange war das Muster des Pulloverärmels. In der Siedlung waren nur noch die Straßenlaternen an.
    Sie besuchten Bruno in seinem Büro in der Stadt; durch das Fenster sah man das Stadt-Panorama. Bruno saß mit ihr und dem Kind, das las, an einem Tisch in der Ecke.
    Er schaute das Kind an: »Franziska meint, Stefan sei in letzter Zeit auffällig verschlossen. Außerdem wasche er sich nicht mehr. Nach ihrer Meinung deute das darauf hin, daß …«
    Die Frau: »Und was meint Franziska noch?«
    Bruno lachte; die Frau lächelte mit.
    Als er die Hand nach ihr ausstreckte, zuckte sie zurück. Er sagte nur: »Marianne.« Die Frau: »Entschuldige.«
    Bruno: »Ich wollte doch nur deinen Mantel näher anschauen. Da fehlt nämlich ein Knopf.«
    Sie schwiegen hoffnungslos.
    Bruno sagte zu dem Kind: »Stefan, ich werde dir jetzt zeigen, wie ich die Leute einschüchtere, die zu mir ins Büro kommen.« Er nahm die Frau am Arm und führte das Folgende, zwischendurch schmunzelnd das Kind anschauend, an ihr vor: »Erst einmal zwänge ich mein Opfer mit seinemStuhl auf einen sehr engen Raum, wo es sich machtlos fühlt. Ich spreche ganz nah vor seinem Gesicht. Und wenn es ein älterer Mensch ist« – er flüsterte plötzlich –, »dann rede ich besonders leise, damit er glaubt, daß er schon taub wird. Es ist auch wichtig, bestimmte Schuhe zu tragen, solche mit Kreppsohlen wie die hier zum Beispiel: das sind Machtschuhe. Und ganz strahlend geputzt müssen sie sein! Man muß es schaffen, eine Aura von Geheimnis auszustrahlen; und das wichtigste dabei ist das Einschüchterungsgesicht.« Er setzte sich vor die Frau hin und fing zu starren an; stützte dabei den Ellbogen auf den Tisch, bei angewinkeltem Unterarm, und schloß die Finger zur Faust, nicht ganz: der Daumen blieb lose wie zum Zustechen. Während er so starrte, verzog er den Mund zur Seite und sprach in dieser Stellung: »Ich habe mir auch eine bestimmte Salbe aus Amerika kommen lassen: die tue ich mir um die Augen, sie hindert mich am
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