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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung
Autoren: Jeffrey Eugenides
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versteckt feindseligen Vier-Seiten-Brief, in dem er sie eine «Anmach-Zicke» nannte und ihr Verhalten an besagtem Abend als «das erotische Äquivalent von Brot und Spielen, nur ohne Brot» beschrieb. Bei ihrer nächsten Begegnung hatte Madeleine so getan, als wäre er Luft, und seitdem hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.
    Jetzt, auf dem Rasen vor der First Baptist Church, blickte Mitchell zu ihr auf und sagte: «Okay. Gehen wir rüber zu deinen Eltern.»
    Phyllida winkte, als sie die Treppe heraufkamen. Mit derturtelnden Stimme, die sie ihrem Liebling unter Madeleines Freunden vorbehielt, rief sie: «Habe ich mir doch gedacht, dass Sie das sind, da drüben im Gras. Sie sahen aus wie ein Swami!»
    «Meinen Glückwunsch, Mitchell!», begrüßte Alton ihn mit herzlichem Händedruck. «Was für ein Tag heute. Ein echter Meilenstein. Eine neue Generation kommt ans Ruder.»
    Sie baten Mitchell, Platz zu nehmen, und fragten, ob er etwas essen wolle. Madeleine ging frischen Kaffee holen, erleichtert, dass Mitchell da war und ihre Eltern unterhielt. Während sie ihn in seiner Altmännerkleidung von der Theke aus dabei beobachtete, wie er Alton und Phyllida ins Gespräch verwickelte, dachte sie das Gleiche, was sie früher schon so oft gedacht hatte: dass Mitchell genau der Typ des klugen, vernünftigen, Eltern entzückenden jungen Mannes war, in den sie sich verlieben und den sie heiraten sollte. Dass er für sie gerade deshalb, wegen seiner Eignung, niemals der Mann zum Verlieben und zum Heiraten sein würde, war bei allen Störfällen dieses Morgens nur ein weiteres Zeichen dafür, wie hoffnungslos verkorkst sie in Herzensangelegenheiten war.
    Als sie an den Tisch zurückkehrte, nahm niemand Notiz von ihr.
    «Sagen Sie, Mitchell», fragte Phyllida gerade, «was wollen Sie nach dem Abschluss machen?»
    «Dieselbe Frage hat mein Vater mir auch gestellt», erwiderte Mitchell. «Aus irgendeinem Grund glaubt er, dass ein Bachelor in Religionswissenschaft sich nicht vermarkten lässt.»
    Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte Madeleine. «Seht ihr? Mitchell hat auch noch keinen Job in Aussicht.»
    «Na ja, irgendwie schon», sagte Mitchell.
    «Hast du nicht», konterte sie.
    «Doch, im Ernst.» Er erklärte, er und sein Mitbewohner, Larry Pleshette, hätten sich ein probates Mittel ausgedacht, um der Rezession die Stirn zu bieten. Als Geisteswissenschaftler, die in Zeiten einer Arbeitslosenrate von 9,5   Prozent auf den Arbeitsmarkt geworfen würden, seien sie nach gründlichen Überlegungen zu dem Entschluss gekommen, das Land verlassen und so lange wie möglich wegzubleiben. Am Ende des Sommers, wenn sie genügend Geld zusammengespart hätten, würden sie eine Rucksacktour durch Europa unternehmen, alles abklappern, was es dort zu sehen gab, dann weiterfliegen nach Indien und dort bleiben, bis das Geld ausgegeben sei. Die ganze Reise werde acht oder neun Monate dauern, vielleicht sogar ein ganzes Jahr.
    «Du gehst nach Indien?», sagte Madeleine. «Das ist kein Job.»
    «Doch», sagte Mitchell. «Professor Hughes nimmt uns als Forschungsassistenten.»
    «Hughes? Der Theater-Prof?»
    «Ich habe kürzlich eine Reportage über Indien gesehen», sagte Phyllida. «Es war schrecklich deprimierend. Diese Armut!»
    «Für mich ist das ein Plus, Mrs.   Hanna», sagte Mitchell. «Ich gedeihe im Elend.»
    Phyllida, die solche Kalauer unwiderstehlich fand, gab ihre Feierlichkeit auf und wogte vor Vergnügen. «Dann ist es wohl der richtige Ort für Sie!»
    «Vielleicht sollte ich auch eine Reise machen», sagte Madeleine drohend.
    Niemand reagierte. Stattdessen fragte Alton: «Welche Impfungen braucht man eigentlich für Indien?»
    «Cholera und Typhus. Gammaglobulin ist freiwillig.»
    Phyllida schüttelte den Kopf. «Ihre Mutter muss ja krank vor Sorge sein.»
    «Als ich beim Militär war», sagte Alton, «haben sie uns wer weiß wie viele Sachen gespritzt. Und nicht mal gesagt, wofür das Zeug gut sein sollte.»
    «Ich glaube,
ich mache das
», sagte Madeleine lauter. «Ich fahre nach Paris, statt mir einen Job zu suchen.»
    «Mitchell», fuhr Phyllida fort, «bei Ihrem Interesse für Religionswissenschaft ist Indien bestimmt ein Volltreffer. Da gibt es alles. Hindus, Muslime, Sikhs, Zoroastrier, Jains, Buddhisten. Wie Eissorten bei Baskin & Robbins! Ich war immer fasziniert von Religion. Im Gegensatz zu meinem Ehemann, diesem ungläubigen Thomas.»
    Alton zwinkerte. «Ich glaube kaum, dass es den ungläubigen Thomas je
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