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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Meeting Street, die alle in ein baumreiches Gelände oben auf der Höhe mündeten: den Campus der Brown University. Allein die physikalische Erhabenheit suggerierte eine intellektuelle.
    «Sind sie nicht wunderschön, diese schiefergepflasterten Gehsteige?», sagte Phyllida, im Gänsemarsch hinter Madeleine. «So welche hatten wir früher auch in unserer Straße. Die sehen einfach
viel
besser aus. Aber dann hat der Gemeinderat sie durch Beton ersetzt.»
    «Und uns auch noch die Kosten aufgebrummt», sagte Alton. Er humpelte ein wenig hinterher. Am rechten Bein seiner dunkelgrauen Hose zeichnete sich der Wulst einerKniestütze ab, die er ständig trug, ob auf dem Tennisplatz oder nicht. Alton war zwölf Jahre in Folge Clubmeister seiner Altersklasse gewesen, eines dieser Urgesteine mit weißem Schweißband um das kahle Haupt, schnippelnder Vorhand und blanker Mordlust in den Augen. Madeleine hatte immer wieder versucht, ihn zu schlagen, ohne Erfolg. Das ärgerte sie umso mehr, als sie inzwischen besser war als er. Aber sobald sie ihm einen Satz abnahm, schüchterte er sie ein, drangsalierte sie mit Gemeinheiten, stritt über die Punkte, und ihr Spiel fiel auseinander. Madeleine fürchtete, das habe etwas Paradigmatisches an sich, ja sie sei dazu bestimmt, sich ihr Leben lang von weniger fähigen Männern unterkriegen zu lassen. Am Ende hatte das Tennisspielen gegen Alton eine so maßlose persönliche Bedeutung für sie erlangt, dass sie sich verkrampfte, sobald sie auch nur den Platz betrat – mit dem vorhersehbaren Ergebnis. Und Alton klopfte sich immer noch auf die Siegerbrust, ganz rosig und hibbelig, als hätte er sie durch schieres Talent besiegt.
    An der Ecke Benefit und Waterman gingen sie hinter dem weißen Turm der First Baptist Church über die Straße. In Erwartung der Festlichkeiten waren Lautsprecher auf dem Rasen des Kirchhofs aufgestellt. Ein Mann mit Fliege, dem Aussehen nach ein Studienleiter, zog angespannt an einer Zigarette und inspizierte einen dicken, an den Zaun gebundenen Strauß Luftballons.
    Inzwischen hatte Phyllida Madeleine eingeholt und sich bei ihr untergehakt, wegen der Stolperfallen im Schieferbelag, dem die Wurzeln der knorrigen Platanen am Straßenrand von unten zusetzten. Als kleines Mädchen hatte Madeleine ihre Mutter schön gefunden, aber das war lange her. Phyllidas Gesicht war mit den Jahren schwerer geworden, sie bekam Hängebacken wie ein Kamel. Ihre konservative Kleidung –im Stil einer Wohltätigkeitsdame oder einer Botschafterin – kaschierte weitgehend ihre Figur. Ihre Stärke war das Haar: ein kostspieliges Gebilde in Form einer glatten Kuppel, eine Konzertmuschel zur Präsentation der Langzeitvorstellung ihres Gesichts. Denn solange Madeleine sich erinnern konnte, war Phyllida nie um Worte verlegen gewesen, nie verdruckst, wenn es um die Einhaltung der Etikette ging. Im Kreis ihrer Freundinnen machte Madeleine sich gern über die Förmlichkeit ihrer Mutter lustig, aber insgeheim, im Vergleich zum Benehmen anderer Leute, schnitt Phyllida oft besser bei ihr ab.
    Und jetzt sah sie Madeleine mit einem Ausdruck an, der
diesem
Moment genau entsprach: im Fieber von Glanz und Gloria der bevorstehenden Zeremonie, begierig, jedem von Madeleines Professoren, der ihr über den Weg lief, intelligente Fragen zu stellen oder mit den Eltern anderer graduierender Studenten Scherze auszutauschen. Kurz, sie war für jeden und für alles zu haben, im Gleichschritt mit dem gesellschaftlichen und akademischen Gepränge, was Madeleine nun erst recht das Gefühl vermittelte, aus dem Tritt zu sein, für diesen Tag und den Rest ihres Lebens.
    Trotzdem trieb es sie vorwärts, über die Waterman Street und die Treppe des Carr House hinauf, wo sie sich Zuflucht und Kaffee erhoffte.
    Das Café hatte gerade aufgemacht. Der junge Mann hinter der Theke, einer mit Elvis-Costello-Brille, war noch damit beschäftigt, die Espressomaschine auszuspülen. An einem Tisch an der Wand saß ein Mädchen mit steifen, pinkfarbenen Haaren, das Nelkenzigaretten rauchte und
Die unsichtbaren Städte
las. Aus der Stereoanlage auf dem Kühlschrank rieselte «Tainted Love».
    Phyllida, die ihre Handtasche schützend vor der Brust hielt, war stehen geblieben und musterte die Studentenkunstan den Wänden: sechs Bilder von hautkranken kleinen Hunden, die Halsbänder aus Bleichmittelflaschen trugen.
    «Ist das nicht lustig?», sagte sie großzügig.
    «La bohème»
, sagte Alton.
    Madeleine platzierte ihre Eltern an einem
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