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Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze

Titel: Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
Autoren: Garth Nix
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KAPITEL EINS
     
     
     
    Die Erwählten begaben sich nur selten hinunter in die Ebenen des Schlosses, in denen das Untervolk lebte. Solange ihre Diener gehorsam arbeiteten, konnte man sie ignorieren. Vor langer Zeit hatte es unter den Erwählten einmal Aufseher gegeben, die regelmäßig alle sieben Ebenen des Untervolkes im Schloss kontrollierten – sogar die seltsamen Kammern und Werkstätten unter der untersten Ebene. Doch während der letzten hundert Jahre war nur hin und wieder ein erwachsener Erwählter aufgetaucht – oder ein paar Kinder, die auf Erkundungstrips gingen.
    Das alles veränderte sich innerhalb eines einzigen Augenblicks. Ohne Vorwarnung strömten Scharen von Erwählten in die siebte – und unterste – Ebene des Untervolks. Die meisten von ihnen trugen die goldenen, mit Sonnensteinen besetzen Brustpanzer der Imperialen Garde und hielten blanke Schwerter in den Händen.
    Ihre Schreie erfüllten die Luft, als sie die Türen aufstießen und die Korridore entlang liefen. Ihre Geistschatten waberten über alle Wände und den Boden. Sonnensteine blitzten hell auf und leuchteten in sämtliche dunkle Ecken und mögliche Verstecke. Wann immer sich etwas bewegte, folgten auf das Licht die sengenden Strahlen der Entflammung, die Höhlenschaben, Ratten und alles andere verbrannten, was vor der intensiven Suche floh.
    Die Untervölkler blieben wie versteinert stehen, während die Suchtrupps der Erwählten ihre Arbeitsräume und Höhlen durchstöberten. Das Untervolk wusste, dass Stehenbleiben das Beste war, was sie tun konnten. Aber nicht alle von ihnen waren sich der Gefahr bewusst. Manche blieben nicht schnell genug stehen, um sich zu identifizieren. Eine alte taube Frau hörte die Aufforderung stehen zu bleiben nicht, als sie durch einen schwach erleuchteten Korridor humpelte. Der Wachmann rief kein zweites Mal, sondern feuerte einen Roten Strahl der Zerstörung aus seinem Sonnenstein auf sie ab.
    Als die Wachen feststellten, dass sie eine alte Frau getötet hatten und nicht einen der Flüchtigen, die sie suchten, gab es keinerlei Entschuldigung oder Erklärung. Die Gardisten liefen einfach davon, ihre Geistschatten mit den nadeldünnen Taillen im Gefolge. Die Leiche würde vom Untervolk weggeräumt – so wie alles, was die Erwählten zerstörten oder fallen ließen.
    In dem Raum, in dem die sechsundfünfzig Ebenen hohe Wäscherutsche endete, saß der Erwählte, der für diese beispiellose Durchsuchungsaktion verantwortlich war, ruhig auf einem Stapel Wäschesäcke und aß getrocknete Shrimps aus einer Tasche in seinem Ärmel.
    Auf den ersten Blick wirkte er wie ein normaler Erwählter. Seine Sonnensteine und sein leuchtender Stab wiesen ihn als Hellblender und als Hilfs-Lumenor des Orange-Ordens aus. Und als Schattenmeister der Imperatorin. Er hatte ein plumpes, fettes Gesicht und einen schmalen, bösen Mund. Ansonsten unterschied er sich nicht von den anderen Erwählten.
    Sein Geistschatten hingegen war auffälliger. Ein Ding mit Stacheln und scharfen Kanten, größer als ein Mensch. Auf dem Kopf hatte es zwei Hörner und neben einem Mund voller Reißzähne hatte es vier Oberarme, von denen jeder in mehreren Klauen mit Widerhaken endete. Er stand aufrecht auf zwei Beinen, die etwas weniger Klauen hatten, und ging hinter dem Sitzplatz seines Meisters – den Wäschesäcken – auf und ab. Im Licht der vielen Sonnensteine sah er beinahe aus, als bestünde er nicht aus Schatten, sondern aus festem, tiefschwarzem Fleisch.
    Der fette, Shrimp-essende Mann war kein normaler Erwählter. Er gab den Wachen, die da kamen und gingen, Anweisungen. Sie alle waren Erwählte aus den höheren Orden und Rängen: vom Blauen Orden, vom Violetten Orden und vom Indigo Orden. Doch sie alle verneigten sich vor diesem Erwählten des Orange-Ordens und sandten ihm einen respektvollen Blitz aus ihrem Sonnenstein.
    Die meisten verbeugten sich so tief, dass sie die klaffende Wunde in seiner Brust nicht sehen mussten. Es war ein grausiges, etwa faustgroßes Loch, durch das man hindurchsehen konnte. Das Loch blutete nicht und der Erwählte schien keinerlei Notiz davon zu nehmen, obwohl das Merwin-Horn-Schwert, das so leicht in die Knochen und das Fleisch eingedrungen war, erst vor weniger als einer Stunde herausgezogen worden war.
    Das Schwert lag jetzt zu seinen Füßen und leuchtete schwach. Es klebte keinerlei Blut daran.
    Schattenmeister Sushin lehnte sich etwas tiefer in seinen provisorischen Sitz und aß die restlichen
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