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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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und die wechselnden Zurufe von Zahlen, endlosen Einständen und Spiel. Sie vertieften nur die brütende Stille dieses lohenden Junitages.
    Wann sollte das Motorboot hier anlegen? Um drei Uhr, nicht wahr? Soeben hatten die Domglocken zweimal geschlagen. Noch eine Stunde also.
    Aus dem Klubheim kam Radio- oder Grammophonmusik. Rimskij-Korssakows >Hummelflug< mit summenden Bässen. Dann wieder Stille. Nur das Klick und Klack der Tennisschläger und der aufprallenden Bälle. Und dann eine neue Platte. >Old Man River<. Unverkennbar Paul Robesons Stimme.
    Thomas Steffen sprang plötzlich auf, als hätte ihm ein Scherzbold eine Nadel von unten durch den Stuhl gestoßen. Die Katze flüchtete mit einem Satz von Barbaras Schoß, und Steffens Stuhl polterte auf den Kies.
    »Himmel, was haben Sie mich erschreckt!« stieß Barbara hervor und spie dreimal über die linke Schulter, um kein Wimmerl an der Lippe zu bekommen. »Was ist denn los? Was haben Sie?«
    »Da, geradeaus vor uns! Schauen Sie doch!« flüsterte er ihr zu.
    Barbara verschattete sich die geblendeten Augen. Das Wasser warf das schräg einfallende Licht wie ein Metallspiegel zurück.
    Ein langes, hellblau gestrichenes Paddelboot mit einem armlangen Flickstreifen am Steven kam langsam vom anderen Ufer her quer über den Strom. Vorn ließ Marion die Paddel kreisen, und hinten versuchte Herr Keyser, es ihr im gleichen Rhythmus nachzutun, und Marion saß in einem hellblauen Leinenkleid im Boot und Herr Keyser im Badetrikot mit krebsrot aufgebrannten Schultern und Armen. Sie waren kaum weiter als fünfzig oder sechzig Meter vom Ufer entfernt, und Marion, ein wenig kurzsichtig, sah über einer breiten Betontreppe zwei Leute stehen, ohne sie vorerst zu erkennen. Sie legte das Paddel quer übers Boot und hob die Hände trichterförmig an den Mund: »Ahoi! Darf man dort anlegen?«
    »Ahoi! Fräulein Marion! Herr Keyser!« schrie Thomas Steffen zurück. »Kommen Sie nur heran!«
    Die Wirkung war fabelhaft. Sowohl Marion als auch der Alte Herr erstarrten plötzlich, als hätten sie ein Dutzend Haifische entdeckt, die ihr Boot umspielten.
    »Also doch mit dem Frauenzimmer durchgebrannt!« zischte Herr Keyser, als er sich von der Überraschung erholt hatte. Er starrte mit verkniffenem Gesicht geradeaus und fürchtete sich nicht einmal vor den Widerwellen zwischen den Jochen der vor ihm liegenden Brücke.
    »Vorwärts, Marion! Es wird weitergefahren! Wir haben hier nichts zu suchen. Tu, als hättest du nichts verstanden und diesen Menschen nicht gesehen!«
    »Mach keine Geschichten, Paps!« gab sie zurück. »Schließlich ist er dein Geschäftspartner.«
    Sie legte das schon zu weit abgetriebene Boot quer in den Strom und drehte es langsam auf das Anlegefloß zu. Herr Keyser ließ es sich nicht einfallen, auch nur einen Finger zu rühren, und Marion hatte es nicht leicht, das Boot gegen die vom Floß angestaute Strömung allein vorwärts zu bringen.
    Aber Thomas Steffen stand schon hilfsbereit unten, griff nach der Bootsleine und zog den Zweier vorsichtig an der äußersten Bohle entlang.
    Marion stieg aus, ehe er dazu kam, ihr behilflich zu sein. Herr Keyser aber übersah geflissentlich Steffens Hand und verzichtete auf jede Unterstützung, obwohl das Aussteigen aus solch einem niederträchtig schaukelnden Boot für ihn jedesmal so etwas wie ein Seiltänzerkunststück ohne Netz zwischen zwei Kirchtürmen bedeutete.
    Barbara ging den so gänzlich unerwartet Daherkommenden bis auf die halbe Treppe entgegen. Sie reichte Marion die Hand, und Marion ergriff sie auch. Dennoch fiel die Begrüßung kurz und äußerst kühl aus. Herr Keyser begnügte sich mit einer stummen und sehr förmlichen Verbeugung, für die eine Badehose eigentlich nicht die korrekte Bekleidung war.
    »Und dort liegen Ihre Sachen, lieber Herr Keyser!« rief Thomas Steffen und deutete auf das größere der beiden Pakete. Er tat geradeso, als ob er seinen Partner genau zu dieser Minute am Floß des Ruderklubs erwartet hätte.
    Aber der >liebe Herr Keyser< unterdrückte jede Gefühlsäußerung über diese unerwartete Fügung, nicht nur seinen Sozius, sondern auch seine verlorenen Sachen hier zu finden; ja, anstatt sich wenigstens über diese zu freuen, musterte er Herrn Steffen mit einem Blick, der sich eine so familiäre Anrede von nun an und für alle Zukunft aufs entschiedenste verbat. Kein Wort darüber, welchem glücklichen Zufall die Rettung des abgesoffenen Bootes zu verdanken war, und auch kein Wort
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