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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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flatterten auf der Insel ein Sperlingsschwarm und eine Elster auf. Öde und verlassen lag die Insel mitten im breiten Strom, und sein sonnenglitzerndes Band umschloß die trübe Zukunft eines neuen Robinson Crusoe.

9

    Um die Mittagszeit fanden sich Barbara und Thomas Steffen, die ihre Besorgungen getrennt erledigt hatten, verabredungsgemäß wieder im Garten des Klubheimes ein.
    Herr Beutelmoser, der Hausmeister, der im allgemeinen nur für Klubmitglieder und deren persönliche Gäste einen Wirtschaftsbetrieb unterhielt, ließ auch einmal einen Ausnahmefall gelten und hatte auf Thomas Steffens Bitte ein Essen zusammengestellt, das er den beiden draußen am Wasser unter einer schattigen Kastanie anrichtete.
    Thomas Steffen revanchierte sich für das Spaghettigericht, das Barbara ihm auf der Insel vorgesetzt hatte, und Barbara nahm die nette Einladung gern an. Es gab eine Spargelsuppe, ein reichlich mit jungen Gemüsen garniertes Rumpsteak und frische Erdbeeren zum Nachtisch. Die beiden Reisegefährten saßen einander wie zwei alte Freunde gegenüber, tranken sich einen spritzigen Mosel zu, und Thomas Steffen, glattrasiert, mit gepudertem Kinn und im eigenen Anzug, war wie verwandelt und spielte in liebenswürdiger Weise den Gastgeber.
    Der Tag war ungewöhnlich warm. Die Sonne brannte aus dem wolkenlosen Himmel herab, und der Stadtprospekt mit dem überragenden Steildach des gewaltigen Domes zitterte in der wabernden Luft. Aber vom Wasser stieg eine erfrischende Kühle auf, und der schattige Platz machte die Hitze erträglich.
    Hinter Steffens Stuhl lagen zwei umfangreiche Pakete auf dem Rasen. Das eine davon enthielt Herrn Keysers und das andere, kleinere, Michaels Sachen.
    Solange sie speisten, vermieden sie es fast geflissentlich, das Gespräch auf die jüngsten Ereignisse zu lenken. Erst, als Herr Beutelmoser die Tafel abgeräumt hatte und sie beim Kaffee angelangt waren und sich Zigaretten anzündeten, erkundigte sich Barbara danach, wie die Pakete den beiden Herren auf der Insel zugestellt werden sollten.
    Thomas Steffen hatte durch Vermittlung seines Geschäftsfreundes einen Motorbootbesitzer ausfindig gemacht, der pünktlich um fünfzehn Uhr hier anlegen wollte, um die Pakete und auch das Boot von Michael in Empfang zu nehmen und zur Insel zu bringen.
    »Und Sie selber?« fragte Barbara.
    »Mein Zug geht eine S-tunde s-päter«, antwortete er.
    »Wann sind Sie zu diesem neuen Entschluß gekommen?« fragte Barbara einigermaßen erstaunt und ließ sich anmerken, daß sie etwas anderes erwartet hatte.
    »In den letzten drei S-tunden«, sagte Thomas Steffen; er zerdrückte seine Zigarette sorgfältig auf dem Rand des Aschenbechers und blickte Barbara voll ins Gesicht: »Nachdem die Geschichte nun einmal so weit gegangen ist, kann ich nicht mehr gut zurück. Und sehen Sie, Fräulein Holls-tein, ich kann auch aus mir, selbst wenn ich den besten Willen dazu hätte, keinen Löwen machen. Es bliebe doch immer nur ein Kostüm, und ich bliebe unter der ausgeborgten Haut doch das, was ich bin. Solch eine
    Rolle hält man nicht lange durch. Ich kann mich nur so verbrauchen und muß so verbraucht werden, wie ich nun einmal geschaffen bin. Ja, ich möchte fast daran zweifeln, daß Fräulein Marion — wenn sie sich überhaupt Zeit nimmt, darüber nachzudenken — mir den tollen S-treich von heute früh zutraut und auf mein Konto bucht. Und ich weiß noch nicht einmal, ob mir das besonders angenehm wäre, wenn sie es täte.«
    Barbara unterbrach ihn nicht. Sie sah an seinem in sich gekehrten Blick, daß er sich über Dinge klargeworden war, über die nachzudenken er bisher weder den Anstoß empfangen noch Muße gehabt hatte. Und er war ihr dankbar, daß sie ihm schweigend zuhörte und ihm Zeit ließ, sich auszusprechen. Er hatte sonst keinen Menschen, dem er sich anvertrauen konnte, und er wunderte sich selber ein wenig darüber, daß er zu ihr, einer Fremden, über diese Dinge sprach. Aber es geschieht ja nicht so selten, daß man vor einem Zufallsbekannten, von dem man weiß, daß man ihn nie Wiedersehen wird, Geheimnisse ausbreitet, die man seinen vertrautesten Freunden verschweigen würde.
    »Sie haben mich heute ein wenig herumgewirbelt, Fräulein Holls-tein. Ich kenne jetzt die Absicht, die Sie dabei verfolgten, und ich danke Ihnen dafür. Aber ich meine doch, daß ich Sie enttäuschen werde. Wahrscheinlich gibt es Menschen, die, einmal aus ihrem labilen Zus-tand herausgeschleudert, sich von diesem Zeitpunkt an nach
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