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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Autoren: Ed Stuhler
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abschätzig. Wolfgang Thierse: »Das war schon ärgerlich, aber wir hatten dann auch ein bestimmtes Selbstbewusstsein entwickelt. Ja, wir waren Laienspieler, wir haben Politik gelernt, miteinander, nicht gegeneinander. Wir haben debattiert. Aber es gab so eine grund legende, emotionale Verbindung, eben weil wir noch nicht Profis, noch nicht abgebrüht, noch nicht zynisch waren.«
      Klaus Reichenbach: »Wir haben bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gesessen, und es ging in der Nacht. Ich glaube, halb eins war irgendwie so der letzte Punkt, bei dem es darum ging, die Ministerposten zu besetzen. Und dann gab es einen Riesenstreit mit der SPD. Die wollten einen Ministerposten mehr haben als die CDU ihnen zusagen konnte oder wollte. Und der goldene Kompromiss kam von de Maizière, der da in seiner üblichen Art und Weise an der Zigarette gezogen hat, muffig vor sich hinguckte und dann sagte: ›Mache einen Vorschlag! Mein Amtsleiter wird Minister, im Amt des Ministerpräsidenten, dann haben wir eben mehr, und dann kriegt ihr euern.‹ Und da wurde bei allen zugesagt. Und so bin ich, ohne dass ich überhaupt gefragt wurde, ich saß nämlich rechts neben ihm, bin ich in dieser Nacht zum Minister gekürt worden. Und wollte es überhaupt nicht werden, denn Amtsleiter, damit wäre ich ja durchaus zufrieden gewesen.«

    Die erste Kabinettssitzung findet am 12.April im Anschluss an die Vereidigung der Regierung im Berliner Stadthaus, dem Amt des Ministerpräsidenten, statt. Die Versammlung ist für 14.00 Uhr angesetzt. Einer kommt zu spät, Regierungssprecher Matthias Gehler. Ein wichtigerer Termin hat ihn aufgehalten: seine für 13.00 Uhr anberaumte standesamtliche Eheschließung.
      In dieser konstituierenden Kabinettssitzung benennt Lothar de Maizière die merkwürdige psychologische Situation, in der sich seine Regierung befindet: »Meine Herren, wir dürfen vom jetzigen Moment, vom ersten Moment an nicht vergessen, dass wir eine Aufgabe haben, die lautet, wir müssen uns selber überfällig machen, wir müssen uns abschaffen!« Sicherlich eine Konstellation,

    Klaus Reichenbach, Minister im Amt Matthias Gehler, Regierungssprecher des Ministerpräsidenten

    wie man sie so schnell in der Weltgeschichte nicht wieder finden wird: eine Regierung, deren Hauptziel ihr Verschwinden ist. Was übrigens auch für das Parlament gilt, die erste und letzte frei gewählte Volkskammer der DDR.
      Dabei ist de Maizière klar, dass es mental nicht einfach ist zu wissen, ich gehe in so ein Amt mit dem Ziel, die Macht stückchenweise abzugeben. Einige, wird er 20 Jahre später sagen, ohne Namen zu nennen, fanden durchaus Gefallen daran, Minister zu sein, und veranstalteten lieber irgendwelche Besuche durch das halbe Land, als gediegene Kabinettsvorlagen zu erarbeiten. Im April 1990 geht er jedoch noch von einer Übergangszeit von mindestens zwei Jahren aus. Als Nahziel erhofft er sich bei den Sommerspielen 1992 in Barcelona eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft.
      Schon in der ersten Kabinettssitzung benennt der Premier fünf we sentliche Punkte, die durch seine Regierung zu erledigen seien:
      Erstens müsse die kommunale Selbstverwaltung wiedereingeführt werden, damit die Kommunen wieder Macht und Stimme haben. Der Einzelne solle vor Ort erfahren können, was Demokratie heißt. Also Schluss mit dem Zentralismus.
      Zweitens müsse die Länderstruktur wiederhergestellt werden, damit eine grundgesetzkompatible Struktur entsteht und die östlichen Länder beim Bundesrat ihre Interessen einbringen können.
      Drittens müsse so schnell wie möglich die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion geschaffen werden.
      Viertens gelte es, den ›Adapter‹ zu schaffen, um die zwei in 40 Jahren auseinandergelaufenen Rechtsordnungen wieder miteinander verzahnen zu können, einen Adapter zwischen zwei inkompatiblen Systemen.
      Und fünftens, die außenpolitischen Aspekte müssen ZweiplusVier ge regelt werden, also zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges. »Und wenn wir diese fünf Punkte geschafft haben, dann gibt es eigentlich für uns keinen Grund mehr, weiter Regierung der DDR zu sein. Und diese fünf Punkte haben wir abgearbeitet.«

    Fast alle Mitglieder des Kabinetts de Maizière bezeichnen die sechs Monate ihrer Amtszeit als die intensivste, als die rasanteste Zeit ihres Lebens, als beschleunigte Zeit, als schnell, spannend, aufregend – und stressig.
      »Das
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