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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Autoren: Ed Stuhler
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So wurde es schließlich Gerhard Pohl.
      Es war natürlich auch so, dass ich ein paar Leute meiner Regierung kurz vor der Vereidigung das erste Mal in meinem Leben gesehen habe. Das mag abenteuerlich anmuten, aber es hängt mit der Zeit und der Schnelllebigkeit der Zeit zusammen. Wenn heute Bundestagswahlen sind, dann dauert es ein Vierteljahr, bis das Bundeskabinett steht. Wir waren quasi nach vier Wochen alle in Amt und Würden, weniger als vier Wochen. Am 18.März sind wir gewählt worden, am 12.April stand die Regierung.«
    Diese letzte DDR-Regierung unterscheidet sich ganz grundsätzlich von allen ihren Vorgängerinnen. Es ist ein völlig anderes Kabinett, eines, das nicht nur frei gewählt worden ist, sondern vor allen Din

    12.4.1990, Volkskammer, Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung, v. l. n. r.: Rainer Eppelmann (DA), Markus Meckel (SPD), Lothar de Maizière (CDU), Hans-Wilhelm Ebeling (DSU) und Rainer Ortleb (BFD)

    gen eines, das von keinem Politbüro Befehle bekommt, so wie es bisher in der DDR üblich war; eine souveräne Regierung, die in enger Zusammenarbeit mit dem Parlament ihre Arbeit organisiert. Pfarrer Rainer Eppelmann: »Es gab auf einmal eine frei gewählte Regierung, in der keine SED-Leute drin waren, die über viele, viele Jahre alles bestimmt haben, was in der DDR passiert ist. Und wir, die wir vorher nicht ernst genommen wurden, deren Meinung gar nicht interessant war, höchstens hat die Staatssicherheit sich dafür interessiert, wir waren auf einmal diejenigen, die politische Verantwortung zu übernehmen bereit waren. Und jetzt ging es darum, aus einer Diktatur eine demokratische, rechtsstaatliche, möglichst freie und effiziente Gesellschaft zu machen.«
      Es sind keine Politprofis, sondern Leute, die im heißen Herbst des Jahres 1989 spontan in die Politik gekommen sind. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass überdurchschnittlich viele Regierungs mitglieder einen kirchlichen Hintergrund haben 3 , war doch die Kirche Keimstätte und Schutzraum der Oppositionsbewegung, die im Dezember 1989 den Zentralen Runden Tisch zur Kontrolle der SED erzwang. Hier sammelten einige der späteren Regierungsmitglieder und Parlamentarier ihre ersten Politikerfahrungen. Es sind Wissenschaftler, Techniker, Lehrer. Sie kommen mitten aus dem Leben in die Politik und nicht, wie der Großteil der westdeutschen Politiker, über die Nachwuchsorganisationen der Parteien und über entsprechende Studiengänge. Juristen gibt es kaum. »Mir wären ein paar Juristen mehr im Kabinett lieber gewesen«, seufzt de Maizière. »Machen Sie mal mit einer Reihe von Pastoren Gesetze. Auweia. Gesetze kann man mit so einem Gutmenschenansatz nicht machen, die müssen einfach logisch stimmen. Da können Sie noch soviel Herz-Jesu-Sauce haben und drüberkippen wollen – das bringt nichts. Das wurde mir dann als unfreundliche Nüchternheit angelastet, aber damit musste ich leben.«
      Dennoch wird die Zusammenarbeit im Kabinett als hervorragend bezeichnet, alle ziehen am gleichen Strang: »Bis in den August hinein hätten Sie im Kabinett nicht gemerkt, wer sitzt von der CDU, den Liberalen oder der SPD dort«, erinnert sich Peter Pollack, der parteilose Landwirtschaftsminister. »Sicher gab es auch mal scharfe Diskussionen, vor allem, wenn es um Geld ging. Das ist normal und hing nicht damit zusammen, dass Herr Romberg nun von der SPD war und der andere, der Geld haben wollte, von der CDU. Das war in der Sache begründet.«

    Die meisten der Regierungsmitglieder geraten zufällig in die Politik. Diese Karriere ist nicht geplant und wird auch in der Regel als Übergangszeit betrachtet. In der Lebensplanung von Lothar de Maizière war Politik überhaupt nicht vorgesehen – als Vizepräsident der Synode des Bundes der evangelischen Kirchen bestand auch gar keine Chance, in die DDR-Politik zu geraten. Mit dem Amtsantritt Gor

    Neun von 24 Kabinettsmitgliedern und sieben Staatssekretäre kamen aus dem Kirchenbereich.

    Cordula Schubert, Ministerin für Jugend und Sport

    batschows gab es Hoffnung auf Reformen, aber er glaubte, dass diese nur innerhalb des Systems möglich sind. Einen Systemwechsel konnte er sich nicht vorstellen. Doch dann kommt der Herbst 89, und nun kann man nicht zurück, hat man doch jahrelang in den kirchlichen Gremien Möglichkeiten zur Partizipation, zu Teilhabe, zur Mitbestimmung gefordert: »Man kann nicht plötzlich sagen: ›Ja, das haben wir zwar gefordert, aber jetzt, wenn es ernst wird,
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