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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Autoren: Ed Stuhler
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Jahr 1990 war natürlich phantastisch«, sagt Klaus Reichenbach. »Ich habe gesehen, es gab die Chance der deutschen Einheit, das war ein politisches Ziel, was ich schon als Kind erträumt hatte und was natürlich zu erreichen an und für sich schon phantastisch war. Die Ereignisse haben mich dann einfach dahin gespült, wo wahr scheinlich der liebe Gott mich irgendwie vorgesehen hat. Meine Planung ist das nicht gewesen.«
      »Die sechs Monate sind natürlich die prägendsten Monate meines Lebens gewesen«, sagt de Maizière. »Es gibt harte Erinnerungen, aber es gibt eben auch großartige Erinnerungen. Das Gefühl, in Moskau am 12.September den Friedensvertrag mit Deutschland zu unterschreiben und eine Geschichte abzuschließen, die mit dem Reichstagsbrand begonnen hat und die zu so grässlichen Stationen wie Novemberpogrom 1938 und 1.September 1939 und 22.Juni
    1941 geführt hat und in die deutsche Teilung und in den Kalten Krieg, dann zu sagen: ›Mit Zustimmung unserer Nachbarn und der

    Günther Krause, Staatssekretär beim Ministerpräsidenten

    Siegermächte unterschreiben wir hier eine endgültige Regelung‹, das ist schon ein Moment, den ich in meinem Leben nicht missen möchte.«
      »Es war die kreativste Zeit in meinem Lebens«, resümiert Günther Krause, CDU-Fraktionsvorsitzender, Parlamentarischer Staatssekretär des Ministerpräsidenten und Verhandlungsführer bei den Gesprächen zum Einigungsvertrag. »Es war auch eine sehr aufreibende Zeit. Biologisch gesehen, ist man da nicht ein halbes Jahr ge altert, sondern drei oder gar vier Jahre, weil man so wenig geschlafen hat.«
      Viele beschreiben einen Arbeitstag, der um 6.00 Uhr beginnt und oft erst nach 22.00 Uhr endet. Amtsminister Klaus Reichenbach berichtet, dass es oft an die Grenzen des Machbaren ging. Er sei im Schnitt nachts zwischen 23.00 und 1.00 Uhr aus dem Gebäude des Ministerrates gekommen und habe um 7.00 Uhr wieder am Schreibtisch gesessen. Er erleidet in der Zeit zwei Hörstürze.
      Und der Premier: »Ich wurde in aller Regel morgens um halb sieben abgeholt und nachts um halb zwei wieder ausgekippt. Und dann habe ich, wenn es Dienstag war, noch die Kabinettsvorlagen von Mittwoch gelesen. Und das war Sonnabend, Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Sonn tag so. Ich habe ein großes Glück: Ich kann in jeder Lebenslage schlafen. Wenn ich mich in den Dienstwagen hinten reinsetze, kippe ich um und schlafe von Treptow bis zum Ministerrat. Und wenn ich vom Ministerrat irgendwohin fahren muss, dann schlafe ich die nächste Runde. Ich habe immer zu meinen Sicherheitsleuten gesagt: ›Ihr wech selt euch ab in drei Schichten, aber ich werde nie ausgetauscht.‹
      Ich hatte dem Justus Frantz versprochen, ich spiele in Greifswald bei der Eröffnung der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern als Solist ein Konzert. Und habe dann mein Instrument mitgenommen und habe jeden Mittag von eins bis zwei im Ministerrat eine Stunde geübt. Meine Mitarbeiter dachten zuerst, jetzt ist er völlig verrückt geworden! Aber es hat mir damals sehr geholfen, weil ich das Gefühl hatte, das teilt den Tag und du tust etwas nur für dich und versuchst, deine Seele wieder in Einklang zu bringen mit dir selbst.«
      Günther Krause: »Also aufstehen um 6.00 Uhr, zu Bett gehen morgens zwischen 1.00 und 2.00 Uhr. Ich kann mich entsinnen, dass ich im Mai irgendwann mal gesagt habe: ›Ich schwitze so, ich glaube, ich habe Fieber.‹ Und mein Fahrer sagte nur: ›Nein, der Winter ist vorbei.‹ Man hat überhaupt nichts mehr mitbekommen, man war so sehr im Stress und hatte jeden Tag neue Probleme.«
      Es ist auch eine Zeit ungeheurer Möglichkeiten, wo Dinge ohne Bürokratie schnell und unkompliziert zu regeln sind. Diese Erfahrung macht zumindest Almuth Berger, die Ausländerbeauftragte: »Ich bin am Donnerstag zu Rainer Eppelmann gegangen und habe gesagt: ›Ich brauche eine Kaserne!‹ Und dann sagte er: ›Hm, wann?‹ Ich sagte: ›Na, vorgestern!‹ Also sofort. Und dann haben wir uns ans Telefon gehängt. Und er hat geguckt, welche Kaserne ist schon geräumt von der NVA. Die musste dann wieder bestückt werden mit Mobiliar, und am nächsten Tag konnte ich Flüchtlinge da unterbringen.
      Oder ich bin zum Finanzminister gegangen und habe gesagt: ›Ich brauche Geld für die Versorgung der jüdischen Flüchtlinge, die kamen!‹ Da sagte er: ›Wie viel?‹ Ich sagte: ›Weiß ich nicht! Kann ich einfach nicht sagen!‹ Da
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