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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Autoren: Ed Stuhler
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Der Schlachtruf war: » Wir sind das Volk!«
      Nach der Öffnung der Mauer schlug die Stimmung um. Jetzt rief man plötzlich überall »Wir sind ein Volk!« Das hieß, was sollen wir uns lange streiten um Veränderungen im Land, wir wollen soziale Marktwirtschaft und Vereinigung. Wir wollen die D-Mark. Auf den Demos im ganzen Land wurde skandiert: »Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr!« Und das war keine leere Drohung. Im Januar verließen täglich über zweitausend vor allem junge, gut ausgebildete Leute die DDR. Mit 600000 bis 700000 Übersiedlungen aus der DDR rechnete der Deutsche Städtetag der Bundesrepublik für 1990. Deren Vorsitzender Herbert Schmalstieg befürchtete gravierende Probleme auf dem Wohnungsmarkt: »Das ist Sprengstoff, der den sozialen Frieden stark gefähr
    Wolfgang Thierse, ab August 1990

    Vorsitzender der SPD-Fraktion
    in der Volkskammer

    det!« Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth sprach sich für Rück kehrprämien für DDR-Bürger aus.

    Am 5. Februar, in Vorbereitung der Volkskammerwahl, schließt sich die DDRCDU mit dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der DSU, unter Anwesenheit und wesentlichem Einfluss von Helmut Kohl, zum Bündnis »Allianz für Deutschland« zusammen.
      Schon der Name »Allianz für Deutschland« ist psychologisch klug gewählt, weist er doch auf das Ziel Deutschland einig Vaterland hin und bedient damit geschickt die Erwartungen im Volk. Gewinnen wird der, der am konsequentesten für die Herstellung der deutschen Einheit eintritt.
      Thierse nennt es Einmischung in die ostdeutschen Belange: »Die haben das am robustesten betrieben und waren nicht zimperlich. Block parteien übernehmen und eine Allianz schmieden und gleichzeitig der SPD vorwerfen, sie wolle irgendetwas mit der alten SED machen! Das war schon robust, clever, parteipolitisch genial und gemein zugleich. Der einzigen neu gegründeten Partei, der SPD, die den Machtanspruch der SED als Partei bestritten hat, dieser Partei vorzuwerfen, sie wollte den DDR-Sozialismus in irgendeiner Weise verlängern. Also die Geste, mit der Helmut Kohl diesen Wahlkampf

    2.2.1990, Berlin, Unter den Linden: Stephan Hilsberg (l.), Ibrahim Böhme (M.), Markus Meckel (r.) im Wahlkampf
    in Ostdeutschland entschieden hat, war doch ganz einfach: ›Ich richte es für euch. Es wird schnell gehen, es wird keine Schmerzen verursachen.‹ Der Patriarch, der mit paternalistischer Geste die ängstlichen, verunsicherten, ungeduldigen Ostdeutschen an die Hand nahm und sagte: ›Ich führe euch in das gelobte Land.‹ Das hat funktioniert.«
      »Ein paar Tage vor der Wahl wurde ich von der taz interviewt«, erzählt Sabine Bergmann-Pohl, »die mich dann am Schluss fragte, wie meiner Meinung nach die Wahl ausgehen wird. Da antwortete ich: ›Ich glaube, wir kriegen ein ganz gutes Ergebnis, die Allianz für Deutschland. Wir sind ja für die Wiedervereinigung eingetreten. Ich schätze, wir kriegen so 28 bis 30 Prozent.‹ Und da bekam die Interviewerin einen Lachkrampf und sagte: ›Das glauben Sie doch alleine nicht!‹«
      Oft waren die Sympathien im Lande bei der SPD und bei den Vertretern der Bürgerbewegung. »Wenn ich euch so sehe«, sagt ein älterer Arbeiter zu Thierse, »und wenn ich an meinen Vater und Groß vater denke, dann möchte ich eigentlich Sozialdemokratie wählen. Aber ihr habt nicht die große Kohle, die hat Herr Kohl.«
      Oskar Lafontaine, Kanzlerkandidat der WestSPD, versucht zu bremsen. Richard Schröder, Fraktionschef der OstSPD: »Lafontaine hatte ganz andere Motive. Der hat immer gesagt, das würde unbezahlbar werden und der Sozialstandard im Westen würde gefährdet. Ich wundere mich sehr, dass Lafontaine heutzutage gehandelt wird als jemand, der dafür gekämpft hat, dass alles sanfter zu gehe. Nein, er hat gesagt: ›Die sollen uns nicht in unsere Kassen reinstürzen, die brauchen wir für uns selbst. Das gibt böses Blut, wenn hier so viele Ausländer von draußen reinkommen.‹ Das sind Lafontaines Sprüche gewesen. Ich habe ja auch oft das Argument gehört, ob die Geschwindigkeit der Änderungen nicht die Leute überfordert. Da habe ich etwas schnodderig geantwortet: ›Revolutionen überfordern die Menschen immer!‹«

    Das Ergebnis der Wahlen am 18. März: Allianz für Deutschland 46,8 Prozent (CDU 40,6 Prozent, DSU 6,3 Prozent, DA 0,9 Prozent), SPD 21,8 Prozent, PDS 16,3 Prozent, BFD 5,3 Prozent, Bündnis 90 2,9 Prozent.
      Thierse ist
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