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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Autoren: Ed Stuhler
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enttäuscht, aber nicht bestürzt. Er hatte das Ergebnis schon geahnt, als er kurz vor der Wahl zur Beerdigung seines Vaters nach Thüringen gefahren war und feststellen musste, dass die Stimmung im Lande ganz anders ist als in Berlin. Auch Richard Schröder roch den Braten. Ihm war klar, dass die Umfrageergebnisse, die die SPD klar vorn sahen, nur bedingt aussagefähig sind, waren sie doch telefonisch erhoben worden. In der DDR hatten ja nur sehr wenige ein privates Telefon, und das waren oft Funktionsträger. Das Ergebnis dieser Umfrage konnte nicht repräsentativ sein.
      Lothar de Maizière interpretiert den Wahlausgang so: »Entschieden worden ist die Wahl durch die Frage, wer tritt am konsequentesten für die Herstellung der deutschen Einheit ein. Alle, die etwas anderes wollten, wurden nicht gewählt. Im Rechtsausschuss des Runden Tisches habe ich mit Richard Schröder und anderen zusammen über dem Wahlgesetz gesessen. Da wollten die Leute von Bündnis 90 die Einführung einer Fünf-Prozent-Sperrklausel, weil sie hofften, auf diese Weise die PDS außen lassen zu können. Ich habe damals gesagt: ›In der Bundesrepublik ist die Sperrklausel auch erst
    1957 eingeführt worden, und wir müssten jetzt erst mal allen Parteien die gleichen Chancen einräumen.‹ Hätten die sich durchgesetzt, wären sie mit ihren 2,9 Prozent nicht einmal in der Volkskammer gewesen. Auch in der SPD waren einige, die noch vom ›dritten Weg‹ redeten. Im Grunde genommen gab es in der DDR drei Strömungen: Die eine Strömung war: ›Wir wollen einen erneuerten Sozialismus.‹ Die zweite war: ›Wir wollen eine neue DDR.‹ Die sollte klein, bescheiden, pazifistisch, ökologisch, basisdemokratisch, himmlisch und gerecht sein 4 . Wie man so etwas finanzieren sollte, war hingegen völlig unklar. Und die Dritten sagten: ›Unsere Lösung liegt in der deutschen Einheit.‹ Und der 18. März war im Grunde genommen ein Plebiszit, sehr viel stärker ein Plebiszit als eine Wahl, ein Plebiszit für die deutsche Einheit, für eine föderale, grundgesetzkompatible Republik und auch für den Rechtsstaat mit einer klaren Gewaltentei

    De Maizière spielt hier auf den Verfassungsentwurf des Runden Tisches an. Näheres dazu im 9. Kapitel.

    18.3.1990, Berlin, Volkskammerwahl, Lothar de Maizière bei der Stimmabgabe in Berlin-Treptow

    lung. Und letztendlich ergaben sich aus diesen drei Momenten die Aufgaben der Regierung, der ich vorstehen durfte.«
      »De Maizière, der nun plötzlich gewählt war, war von dem Ergebnis erschlagen«, erinnert sich Schröder. »Ich und Markus Meckel waren insofern von dem Ergebnis erleichtert, weil wir uns nicht richtig klar waren, wie wir Böhme als Ministerpräsidenten hätten ver hindern können. Denn dass Ibrahim Böhme als Ministerpräsident völlig untauglich war, unabhängig von der Stasi-Verwicklung, sondern wegen seines ganzen Wesens, das war uns völlig klar. Wir kannten ihn ja über Jahre, wenn wir auch nicht alles von ihm wussten. Und so war es für mich eine gewisse Erleichterung, dass wir das Problem Böhme nicht bekommen.«
      »Wir hatten schon vorher den Verdacht gehabt, dass er für die Staatssicherheit arbeitet«, erinnert sich Markus Meckel. »Bei mir hatte es geschwankt in früheren Jahren. Mal gab es Phasen des Vertrauens, mal Phasen des Misstrauens. Dann, Ende 1989, war das Misstrauen sehr groß. Aber wir konnten nichts mehr tun. Er war der Sonnyboy der SPD, im Westen wie im Osten, und wenn wir ihm einen solchen Vorwurf gemacht hätten, wäre das wie eine Denunziation gewesen.«

    Ibrahim Böhme wird 1944 als Manfred Otto geboren und wächst als Waisenkind in Heimen auf, bis er im Alter von drei Jahren von Kurt Böhme adoptiert wird. Den Vornamen Ibrahim (Abraham, Vater des Volkes) gibt er sich später selbst. Es ist einer seiner Decknamen als Stasi-Spitzel.
      Im Oktober 1989 ist Böhme einer der Gründerväter der SDP (die sich später in SPD umbenennt) und wird deren erster Geschäftsführer. Weitere Gründungsmitglieder sind Richard Schröder, Markus Meckel und Martin Gutzeit.
      »Es fand sich ein westdeutscher Sozialdemokrat«, sagt Richard Schröder sibyllinisch, »dem offenbar die Aufgabe schmeichelte, im Osten Königsmacher werden zu können. Er hat den Ibrahim Böhme zu unserem Erschrecken, wenn ich jetzt von Meckel und mir spreche, zum Vorsitzenden der SPD und zum Ministerpräsidentenkandidaten auserwählt. Meckel sagte immer, das würde eine Katastrophe.«
      Entgegen
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