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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Autoren: Ed Stuhler
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sagte er: ›Setz dich einfach zusammen mit meinen Abteilungsleitern und überlege das, und dann komm wie
      13.5.1990, Musikfest MecklenburgVorpommern, Lothar de Maizière spielt

    die 1. Bratsche im Streichquintett
    Nr. 2, c-Moll, KV 406
    von Wolfgang Amadeus Mozart

    der!‹ Und dann habe ich mich mit denen hingesetzt, und wir haben versucht, da irgendwelche Berechnungen anzustellen, die sicher abenteuerlich waren, und sind auf irgendeine Summe gekommen, so und so viele Millionen. Und dann bin ich wieder hingegangen und habe gesagt: ›Also, wir haben was ausgerechnet!‹ Dann sagte er: ›Okay, kriegst du!‹«
      Lothar de Maizière nennt Zahlen, die den enormen Arbeitsanfall in diesen sechs Monaten illustrieren: Es werden 759 Kabinettsvorlagen behandelt, manche zwei- oder dreimal. Er unterschreibt 143 Verordnungen. Die Volkskammer bearbeitet und beschließt 96 Gesetze, die vom Ministerrat vorgelegt werden.
      Der Prozess der Gesetzgebung ist folgendermaßen organisiert: Am Montag tagt die Staatssekretärsrunde. Hier werden alle aus den Ministerien vorgeschlagenen Gesetzesänderungen bzw. Änderungen der Verordnungen durchgearbeitet und auf Fehler, auf technische Durchführbarkeit und politische Brisanz geprüft. Die Ergebnisse werden am Dienstag mit den Fraktionsvorsitzenden der Koalition besprochen. Mittwochs früh um 8.00 Uhr tagt der Ministerrat und behandelt die Vorlagen. Anschließend werden sie, mit even tuellen Korrekturen, in die Volkskammer geschafft. In der Regel ist dort am Donnerstag die erste, am Freitag die zweite Lesung

    17.5.1990, Täglich treffen Hunderte Asylanten in der DDR ein, die auf ein besseres Leben hoffen. Regierungssprecher Matthias Gehler (l.) und Ausländerbeauftragte Almuth Berger (M.) im Gespräch mit Asylanten, die in einer ehe maligen NVA-Kaserne in Berlin-Biesdorf eine vorläufige Bleibe erhielten.
    und Verabschiedung der Gesetze. Am schlimmsten Tag, an den sich Amtsminister Reichenbach erinnern kann, waren es 35 Gesetzesentwürfe und 23 Verordnungen – ein ganzer Koffer voll.

    Gemessen am Arbeitsanfall, ist das Gehalt eher bescheiden und für alle gleich: 2750,00 Mark. Der Premier bekommt 1000,00 Mark mehr. Umweltminister Karl-Hermann Steinberg: »Bei Töpfer, in seinem Ministerium, gab es keine Putzfrau, die weniger hatte als ich als Minister.« Am 1.Juli wird aus der Ostmark die Westmark. Die Höhe des Gehaltes bleibt gleich.
      Fast alle Minister und Staatssekretäre wohnen in Gästehäusern der Regierung, im Johannishof an der Friedrichstraße oder im Pankower Schloss Niederschönhausen. Die Zimmer sind schlicht und unpersönlich, aber man hält sich ja auch nur zum, viel zu kurzen, Schlafen dort au f. Die Miete für ein Zimmer beträgt 75 DDR-Mark im Monat, für ein Appartement ca. 250 Mark – nach dem 1.Juli natürlich in DM.
      Dennoch erinnern sich fast alle gern an diese Zeit. Innenminister Diestel: »Ich habe selten mit so vielen klugen Leuten in einer Gemeinschaft wie in diesem Kabinett zusammengearbeitet. Es waren sehr, sehr Leistungsstarke. Wenn ich an Forschungsminister Terpe denke, wenn ich an Regine Hildebrandt denke, die eine hervorragende Arbeit gemacht hat, die zwar intellektuell sehr chaotisch, aber sehr menschlich und damals schon auch weitsichtig klug war, auch Günther Krause letztendlich als Staatssekretär im Kanzleramt – das war eine Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten, die sehr intensiv war, und wo trotz dieser relativ kurzen Zeit, einem halben Jahr, irrsinnig viel geschehen ist.«

    2. Ein Plebiszit

    »Robust, clever, parteipolitisch genial und gemein zugleich!«
Wolfgang Thierse

    Am 28.Januar 1990 trifft sich Ministerpräsident Hans Modrow mit Vertretern der Opposition. Das Ergebnis dieser Zusammenkunft ist eine Allparteienregierung der »nationalen Verantwortung«. Man beschließt, die Volkskammerwahlen vom 6.Mai auf den 18.März vorzuziehen. Der Zentrale Runde Tisch stimmt am nächsten Tag zu. Es werden die ersten und letzten freien Volkskammerwahlen der DDR sein, und das Ergebnis wird die meisten überraschen, denn in den Vorabumfragen hatte die SPD immer die Nase vorn – alles rechnete mit einem Sieg der Sozialdemokraten.
      Wolfgang Thierse allerdings bezeichnet die Monate vor der Wahl als eine Zeit geradezu rasanter Stimmungsveränderungen. Etwa bis zum 4.November 1989, dem Tag der riesigen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz, ging es darum, die Grundfreiheiten gemeinsam einzufordern und das Land zu verändern.
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