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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Autoren: Ed Stuhler
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mir nicht zu machen!«
Lothar de Maizière

    Als Lothar de Maizière am 18.April zum Rednerpult schreitet, um seine Regierungserklärung abzugeben, schaut er an sich herunter und stellt fest, dass seine Hosenbeine schlottern. Vor seinem inneren Auge sieht er die Fernsehbilder des polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki, der ein Jahr vorher bei seiner Regierungserklärung umkippte, weil ihm vor Aufregung schlecht geworden war. So etwas, denkt er die ganze Zeit, darf mir nicht passieren! Und es passiert ihm nicht.
      De Maizière, der gelernte Bratschist, feinsinnige Kunstliebhaber und Grafiksammler, verliest eine Erklärung, die später von allen Seiten als beeindruckende Botschaft eines demokratischen Neuanfangs gewertet wird. Als Hauptziel seiner Regierung nennt er die Verwirklichung der deutschen Einheit. Er spricht seinen Landleuten aus dem Herzen, als er sagt: »Über den Weg dahin werden wir ein entscheidendes Wort mitzureden haben.« De Maizière ist sich bewusst, dass es ein schwerer, ein steiniger Weg sein wird, und mahnt die Solidarität der bundesdeutschen Bevölkerung an: »Diese Einheit muss so schnell wie möglich kommen, aber ihre Rahmenbedingungen müssen so gut, so vernünftig und so zukunftsfähig sein wie nötig.« Und schon in dieser ersten Ansprache gibt er seiner Überzeugung Ausdruck, dass sich Tempo und Qualität am besten gewährleisten lassen, »wenn wir die Einheit über einen vertraglich zu vereinbarenden Weg gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes verwirklichen«.

    Wenn nicht anders vermerkt, handelt es sich bei den Datumsangaben immer um das Jahr 1990.
      In dieser Rede erinnert de Maizière daran, dass die DDR nie in den Genuss eines milliardenschweren Marshallplans gekommen sei, sondern im Gegenteil Milliarden an Reparationsleistungen zu erbringen hatte. »Teilung kann nur durch Teilen überwunden werden«, gibt er seiner Überzeugung Ausdruck. Es ist das Bild des Abendmahls, das der Christ und Nachfahre hugenottischer Einwanderer da heraufbeschwört. Und er zitiert aus Hölderlins Hyperion den schönen Satz »Denn das hat den Staat zur Hölle gemacht, dass wir ihn zu unserm Himmel machen wollten.« Der Staat, weiß er, ist nicht der Himmel, sondern der Staat ist der Garten und Rahmen, in dem sich menschliche Kreativität in Freiheit zu entfalten hat: »Dies als Ziel einer Gesellschaft zu beschreiben, das war mir damals wichtig.«
      De Maizière steht einer Regierung vor, die aus 23 Kabinetts mitgliedern besteht. (Noch die Vorgängerregierung Modrow hatte über 40 Minister und Industrieminister.) Er hat das Kabinett, wie er es nennt, spiegelbildlich zur Bundesregierung geschnitten. Das hat den einfachen Grund, dass bei den bevorstehenden Verhandlungen zur Deutschen Einheit die Ressorts miteinander in Verbindung treten können. Allerdings gibt es zwei zusätzliche Ministerien, die der besonderen Situation der DDR geschuldet sind: ein Medienministerium, das im Wesentlichen die Aufgabe hat, die monopolisierte Medienlandschaft umzugestalten, und ein Ministerium für Handel und Versorgung, um die zentralistischen Strukturen aufzuweichen. Ebenfalls abweichend von der bundesdeutschen Struktur siedelt de Maizière das Energieressort nicht beim Wirtschafts-, sondern beim Umweltministerium an, weil er der Meinung ist, wer Energie produziert, soll auch wissen, wie er den Dreck wegkriegt, der damit zusammenhängt.
      Es ist eine Koalitionsregierung aus Christlich Demokratischer Union (CDU), Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutscher Sozialer Union (DSU), die als »Allianz für Deutschland« zur Volkskammerwahl angetreten waren, Sozialdemokratischer Partei (SPD) und der liberalen Partei Bund Freier Demokraten (BFD).

    Siehe Anhang: Das Kabinett de Maizière.

    12.4.1990, Berlin, Das Kabinett de Maizière vor der Volkskammer

      Lothar de Maizière hätte auch mit seiner Allianz allein regieren können. Aber noch gilt die Verfassung der DDR von 1968, und er ist sich bewusst, dass es in der nächsten Zeit eine Reihe von verfassungsändernden Beschlüssen geben muss, für die eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist.
      Und de Maizière hat einen zweiten Grund, vor allem die Sozialdemokraten an Bord zu holen, der ihn als vorausschauenden und cleveren Politiker zeigt:
      »Ich wusste schon, dass im Zuge der nächsten Monate von der bundesdeutschen Seite eine ganze Menge Zumutungen auf uns zukommen würden, die uns sagen würden, wir sollten dieses, jenes, sonst was machen. Und
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