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Das Feuer der Zeit

Das Feuer der Zeit

Titel: Das Feuer der Zeit
Autoren: Kathrin Brueckmann
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Das Feuer der Zeit
     
    »Rena, kommst du auch zum Sonnwendfeuer morgen Abend?«, rief Miriam mir zu, während ich meine Sachen zusammenpackte.
    »Ja, ich freue mich schon darauf«, antwortete ich ihr. Gemeinsam gingen wir zur Tür, und ich blieb noch stehen, während Miriam die Tür der Bibliothek abschloss. Es war ein schöner, lauer Abend, und ich freute mich auf das Wochenende.
    »Ich dachte nur, wegen Arne …«
    Arne, Leiter der Bibliothek, in der wir arbeiteten.
    »Der ist Geschichte«, sagte ich entschlossen, auch wenn meine verwundete Seele dabei jaulte. Ein Jahr lang hatte Arne mich glücklich gemacht und mit meinen fast vierzig Jahren sogar an Kinder denken lassen. Sein Kind erwartete nun ein andere. Die Bitterkeit über seinen Verrat wallte erneut in mir hoch. Nein, betrogen hatte er mich nicht. Ich war nur einfach nicht die Frau, mit der er sich seine Zukunft vorstellte. Die Wunde schmerzte noch immer, aber es wurde Zeit, nach vorn zu schauen.
     
    Die Dämmerung war an diesem längsten Tag des Jahres noch nicht hereingebrochen, als ich mich auf mein Fahrrad schwang und auf den Weg zu der Wiese am Rand des Waldes etwas außerhalb unserer Kleinstadt machte, auf der das traditionelle Sonnwendfeuer entzündet wurde. Heute Abend wollte ich Spaß haben, endlich wieder einmal leben.
    Der Anblick der fröhlich lachenden Menschen um das lodernde Feuer traf mich dann doch wie ein Schlag. Ich fühlte mich fremd inmitten meiner Freunde. Zum Glück nahm kaum jemand von meinem Kommen Notiz, also setzte ich mich auf einen der Baumstämme. Die Nacht senkte sich langsam über die feiernden Menschen. Ich trank einen Becher Wein nach dem anderen und hing meinen Gedanken nach. Mein Blick wurde von den züngelnden Flammen gefangen gehalten. Während meine Umgebung in dem Nebel leichter Trunkenheit verschwamm, schienen nur sie klar und wirklich zu sein. Sie wisperten mir zu und liebkosten mich mit ihrer Wärme. Bilder stiegen vor meinen Augen auf und verschwanden wieder. Ich blinzelte. Die Gestalten wurden klarer. Ich vermeinte, eine Gruppe Männer auf der anderen Seite des Feuers zu sehen. Nur, dass diese Menschen Fremde waren, nicht von hier, und – mir lief eine Gänsehaut über den ganzen Körper, als ich es erkannte – nicht von jetzt. Sie trugen Kleidung aus Leder, Fellen und Leinen oder Wolle, und wenn sie tranken, setzten sie Hörner von Tieren an die Lippen. Das Feuer warf rote Reflexe auf die langen, meist blonden Flechten ihrer Haare und Bärte. Ich konnte sie sehen, aber nicht hören, auch wenn sie offensichtlich lachten und feierten, so wie die Leute im Hier und Jetzt feierten und lachten. Nur ich war eine Ausgeschlossene, eine einsame Insel im Meer der guten Laune. War nur mir der Blick durch die Zeit möglich?
    Ich rieb mir die Augen und rutschte näher heran. In diesem Moment beugte sich auch eine der Gestalten auf der anderen Seite des Zeittunnels vor, um Holz nachzulegen. Durch die Flammen hindurch trafen sich unsere Blicke. Er hob überrascht die Brauen und runzelte die Stirn.
    »Hallo«, wisperte ich tonlos.
    Ich bemerkte, wie einer seiner Kameraden ihn anstieß und etwas zu ihm sagte, sah seine Lippen sich bewegen. Er zeigte auf mich, und der andere starrte nun ebenfalls ins Feuer. Kopfschüttelnd lachte er über den großen Blonden, der mich immer noch unverwandt ansah. Mein Herz schlug schneller, und ich glaubte zu schmelzen, als er mich anlächelte. Er machte eine einladende Geste, ich solle doch zu ihm kommen. Langsam streckte ich die Hand nach ihm aus.
    »Mensch Rena, was machst du denn?«
    Ich zuckte zusammen, als ich Arnes Stimme erkannte. Die Bilder erloschen schlagartig, und der Zauber war zerstört.
    »Du wärst beinahe ins Feuer gefallen. Ich glaube, ich bringe dich besser heim.«
    Während Arne mich hochzerrte, warf ich einen letzten, verzweifelten Blick ins ersterbende Feuer. Nichts. Ich presste die Lippen zusammen, denn ich hasste Arne in diesem Moment so intensiv, dass ich befürchtete zu schreien, wenn ich den Mund aufmachte. Schweigend ließ ich mich von ihm nach Hause bringen und verabschiedete ihn so knapp, dass seine mitfühlenden Worte in einem Gemurmel verebbten. Ich fiel ins Bett wie ein Stein.
     
    Der Wald ist so dicht, dass er einem Urwald gleicht. Das Unterholz leckt mit grünen Zungen nach den Beinen des vorüber Eilenden. Ist er auf der Flucht? Nein, jetzt erkenne ich es. Er jagt einem Hirsch hinterher, in dessen Flanke bereits ein Speer steckt. Die langen Zöpfe des
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