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Je sueßer das Leben

Je sueßer das Leben

Titel: Je sueßer das Leben
Autoren: Darien Gee
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Prolog
    Leon Ydara, 81
    Hobby-Astronom
    Leon stellt das 25-mm-Plössl-Okular ein und richtet das Teleskop auf den Himmel. Es ist eine klare Nacht, wie gemacht zum Sternegucken, der Mond ist so hell, dass er ihm schon fast die Sicht stört. Er setzt den Mondfilter ein und sieht noch einmal hindurch. Das Mare Crisium ist einfach wunderschön.
    Er richtet das Teleskop auf den Horizont, wo die Venussichel steht. Von dort wandert sein Blick zum Mars am Südhimmel. Er kann die Cassini-Teilung zwischen den Ringen des Saturn erkennen. Die Plejaden, den Orionnebel. Ein Satellit schiebt sich blinkend durch sein Gesichtsfeld, nichts Ungewöhnliches zu dieser Jahreszeit.
    Leon tritt einen Schritt zurück, um das Okular zu wechseln, und verstaut jedes Teil sorgfältig in der jeweiligen Schachtel. Das ist ein Fehler, den viele Einsteiger machen. Vor lauter Aufregung über das Himmelsgeschehen stecken sie die nicht mehr benutzten Filter achtlos in die Tasche, um bloß keine Zeit zu verlieren, sie könnten sonst ja etwas verpassen. Dabei nehmen die Linsen leicht Schaden, und was hat man dann davon?
    Die Nachtluft ist kühl. Umständlich knöpft er mit klammen Fingern seinen Mantel zu. Den Gelenken ist das Alter wirklich nicht zuträglich. Wenn er zu lange hinter seinem selbstgebauten Dobson-Teleskop steht, bekommt er immer Rückenschmerzen. Deshalb setzt sich Leon auf seinen Klappstuhl und holt sein Fernglas heraus.
    Den meisten Leuten ist gar nicht klar, dass man den Nachthimmel auch ohne kostspieliges Teleskop beobachten kann. Viele Hobby-Astronomen brauchen nur zwei Dinge: eine dunkle Nacht und ihre Augen. Mehr ist eigentlich nicht nötig, um die beste Show der Welt genießen zu können.
    Zum Sternegucken hat ihn Marta gebracht. Es war auf einer Party, sie waren beide in Begleitung da und langweilten sich zu Tode. Er entdeckte sie draußen im Garten, wie sie einsam und allein auf dem Rasen stand und in den Himmel starrte. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, die rotbraunen Haare fielen ihr wie ein Wasserfall über den Rücken, und sie atmete mit leicht geöffneten Lippen die Nachtluft ein. Selbst in der Dämmerung konnte Leon sehen, dass ihre Haut so blass und durchscheinend wie das Mondlicht war.
    »Die Milchstraße«, sagte sie leise und deutete auf den Himmel. Er kannte noch nicht einmal ihren Namen, folgte aber bereitwillig dem ausgestreckten Arm mit den Augen. »Ursa Major – der Große Bär. Ursa Minor – der Kleine Bär.« Ihr Finger wanderte ein Stück weiter. »Der Gürtel des Orion.« Drei Sterne in einer Reihe.
    Es war der Winter 1962. Sechs Monate später waren sie verheiratet, ihr Ehering eine Konstellation aus drei Diamanten. Ein Jahr darauf kam ihr einziges Kind zur Welt, ein Mädchen namens Rosa. Sie hatte das dunkle Haar des Vaters und die feinen Züge der Mutter und war der ganze Stolz und das ganze Glück ihrer Eltern.
    Leon hebt das Fernglas an die Augen. Vermutlich sollte er mal in ein 10x50-Fernglas investieren, mit einem größeren Sehfeld und besseren Linsen, aber er kann sich von diesem Fernglas einfach nicht trennen. Marta hat es ihm zu ihrem ersten Hochzeitstag geschenkt, und dass sie es in ihren Händen gehalten und hindurchgeblickt hat, bedeutet ihm einiges.
    Sie haben im Laufe der Jahre viel gesehen und viel erlebt. Planeten, Sterne, Kometen, Meteoritenschauer, Sternhaufen, Galaxien, Nebelflecken. Die Geburt der Tochter, drei Fehlgeburten, vier Umzüge, zahlreiche Beförderungen, den Verlust beider Elternpaare.
    Seine Tochter Rosa und ihr Mann Jack besuchen ihn so oft wie möglich. Sie wohnen in Grand Rapids. Dann kocht Rosa tagelang, packt das Auto bis unters Dach mit Kühlboxen voll und macht sich mit Jack auf die fünfstündige Fahrt von Michigan nach Illinois. Mit dem Essen, das die beiden mitbringen, kommt Leon einen Monat lang aus. Er hat seiner Tochter schon öfter klarzumachen versucht, dass er nicht so viel braucht, aber sie hört nicht zu. Essen hat in der Familie seit jeher eine wichtige Rolle gespielt, und zudem kocht Rosa sehr gut. Das hat sie von ihrer Mutter.
    Letzten Monat hat Rosa ihn wieder einmal besucht. Bislang sind alle ihre Versuche, schwanger zu werden, fehlgeschlagen, und das macht sie traurig, und deshalb macht es auch Leon traurig. Er sagt ihr, dass so etwas passieren kann, aber es ist eine jämmerliche Erklärung, wie er sehr wohl weiß. Als studierter Ingenieur denkt er streng wissenschaftlich. Hinter allem sucht er den Grund. Als er und Marta sich besser
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