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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite
Autoren: Hans Gruhl
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»Sind Sie
vielleicht...«
    »Ich bin es gewiß. Doktor Bold.«
    »Entschuldigen Sie, Herr Doktor. Ich...
ich bin Schwester Inge...«
    »Das ist fein, Schwester Inge. Moment
bitte.«
    Ich erhob mich nicht ohne Mühe, trug
die Zigarette zur Pforte und trat sie draußen aus. Dann schüttelte ich Inges
Hand.
    »Können Sie mir jemanden zeigen, der
sich über meine Ankunft freut, mir ein Bier, ein Bad und ein Bett zeigt und
mich erst übermorgen weckt? Wo kann ich den Oberarzt treffen?«
    Sie überlegte mit krauser Stirn.
    »Der macht wahrscheinlich Mittagsruhe...
Aber... vielleicht ist es das Beste, ich bringe Sie erst mal ins Kasino, danach
kann ich versuchen, einen von den Ärzten zu finden.«
    »Das ist bestimmt das Beste.«
    Ich ergriff mein unseliges Gepäck
wieder. Inge ging vor mir her, wogegen ich keine Bedenken hatte. Wir verließen
die Halle, erklommen den ersten Stock, passierten einen Gang mit vielen Türen.
Dann stand ich in dem leeren Ärztekasino.
    Großer Mitteltisch in Weiß, kleine
Tische an den Wänden, alle Stühle von gleicher Firma und Form, Radio,
Fernseher, Schrank mit Gläsern, Bücherschrank. Ganz leichter Geruch nach
Königsberger Klops, hinterher Kompott.
    Inge hob mir ihr zartes Gesicht
entgegen.
    »Es kann etwas dauern, Herr Doktor...
Ich komme wieder und sage Bescheid.«
    Sie verließ mich. Langsam ging ich zu
einem offenen Fenster an der Rückseite und sah hinaus. Unter mir streckte sich
ein flaches Dach gegen den Berg hin. Wahrscheinlich die Liegehalle. Dann kam
Rasen, Büsche, Blumen, alles sehr gepflegt.
    Ein paar Wege führten durch die Anlage
und verloren sich im Wald dahinter. Laubbäume und Tannen durcheinander und
allerhand Unterholz. Das ganze Anwesen mußte ziemlich groß sein. Viel gesunde
Luft und Natur. Das richtige für meinen Großstadtorganismus. Der Berg mit dem
Haus hatte einem Industriellen gehört, war an die Stadt verkauft worden. Die
hatte eine Heilstätte daraus gemacht, eine Zweigstelle unserer Klinik. Die
wiederum mußte das Personal stellen, und nun war ich hier gelandet, nicht so
sehr wegen meiner speziellen Fähigkeiten, sondern weil ich selber ein bißchen
die Tuberkulose gehabt hatte. Man nahm immer gern solche, bei denen die
Berufskrankheit schon anerkannt war.
    Auf dem Flur kam jemand hastig heran.
Das war nicht Inge. Es trampelte mehr. Die Tür wurde aufgerissen. Ich drehte
mich um und gewahrte einen Herrn von etwa Dreißig. Weißer Mantel offen, obere
Hemdknöpfe offen. Zwanzig Zentimeter kleiner als ich. Ein runder Schädel mit
rundem Antlitz und hellem Haar, das wirr über die Ohren hing. Mit einem
Mittelscheitel hätte er ausgesehen wie der Bauer Dümmel von Wilhelm Buschs
Fips, dem Affen.
    Er ballerte die Tür zu und betrachtete
mich verzückt.
    »Hahaa!« machte er. »Da haben wir ihn!
Den Bold! Den Witz-, Trunken- und Raufbold! Willkommen!«
    »Willkommen«, sagte ich.
    Er schüttelte mir die Rechte und zog
sehr an dem Schultergelenk, das den Koffer gehalten hatte.
    »Pinkus heiße ich. Bald Facharzt für
Tuberkulose. Mann, sehen Sie durstig aus!«
    Ich erzählte von Bahnhof, Staub und
Koffern.
    »Kein Auto?«
    »Vorige Woche zum Exitus gekommen. Fuhr
nur noch im Rückwärtsgang.«
    »Das ist aber auch zu blöd. Meins ist
zur Inspektion, und dem Ober seines hat seine Alte. Muß Einkäufe machen damit
und zeigt es ihm nur an jedem Wochenende. Na ja, Sie sind da. Bier?«
    »Ich könnte eine Brauerei aussaufen.«
    Er verschwand in einem Nebenraum. Ich
hörte Klirren und den Schlag der Kühlschranktür. Er kam mit vier Flaschen
zurück.
    »Oleum Opodeldoc. Das Gebräu der
Finsternis. Steht alles drüben. Wer was rausnimmt, schreibt es leserlich in die
Kladde. Abrechung Monatsende.«
    »Ein geschicktes System«, antwortete
ich. »In der Klinik war’s nicht so.«
    »Der Chef ist zu abstinent«, sagte
Pinkus und nahm Gläser aus dem Schrank. »Er weiß nichts über den Einfluß des
Alkohols auf die Steigerung der Immunität gegen die Tuberkulose unter
besonderer Berücksichtigung des Durstes. Er wird nie den Nobelpreis kriegen.
Prost.«
    Ich trank und bemerkte nur Schaumreste
auf dem Boden des Bechers. Pinkus schwang die Flasche.
    »Sie werden sich wohl fühlen bei uns,
mein Lieber. Kennen Sie den Ober?«
    »Ich weiß nur. daß er Bierstein heißt.«
    »Na also! Wenn ein Mann Bierstein
heißt, was kann da passieren? Das gemütlichste Haus der Welt. Schlesier. Ißt
gern gut, hat nichts gegen den Durst. Kennt sämtliche Tricks des ältesten
Mottenträgers
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