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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite
Autoren: Hans Gruhl
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und schmeißt den Laden mühelos. Macht das Labor nebenbei. Aber
hauptsächlich basteln. Er baut Ihnen in drei Tagen einen Fliegenfänger zu einer
Klosettbürste um und eine Armbanduhr mit Leuchtziffern in eine Atombombe.
Deswegen streitet er auch den halben Tag mit der Verwaltung um neue
Gerätschaften, die sie bezahlen soll. Dann hat er was zum Umbauen.
    Wir tranken die Gläser abermals aus.
Ich begann heimisch zu werden.
    »Ihre Röntgenkanone hat er auch schon
mit allerhand Verbesserungen versehen. Sie werden sich wundern. Na...die Arbeit
ist erträglich, der Chef kommt nicht zu oft, das Klima ist hervorragend. Weiher
zum Baden ein Kilometer von hier. Das Essen, wie in allen Anstalten der Welt,
reicht vollständig aus. Spezialitäten muß man in der Stadt zu sich nehmen... an
jedem Wochenende kann einer reinfahren und in Kultur machen.«
    »Es wird eine Weile dauern, bis ich
wieder zu diesem Bahnhof marschiere.«
    »Ich fahre Sie, wenn mein Bock
inspiziert ist. Noch eins?«
    Wortlos hielt ich das Glas unter den
Flaschenhals.
    In diesem Augenblick zitterte die Tür
zum zweitenmal in den Angeln. Bei dem jetzt Eintretenden konnte es sich nur um
den jüngst genannten Bierstein handeln.
    Er wog so viel wie wir beide zusammen
und bemühte sich auch nicht, den Bauch nach innen zu ziehen. Weil er aber ein
Kreuz wie einen Tresor einer mittleren Kreis Sparkasse hatte, wirkte er nicht
kugelförmig, sondern mehr quadratisch. Leicht quadratisch war auch sein Schädel
mit eisgrauem Haar und lustigen Äugelchen. Es ging etwas so Gemütliches von ihm
aus, daß ich mich auf der Stelle mit ihm in eine unterirdische Destille hätte
verkriechen und dort bis Weihnachten bleiben können.
    Er machte ein paar Tänzelschritte auf
uns zu, wobei er die Hacken dicht aneinander hielt. Es sah aus, als blase er
ein Saxophon und ginge damit auf die Bühnenrampe zu. Später stellte sich heraus,
daß er tatsächlich auch noch blies, wenn er nicht bastelte.
    »Mensch, wird mir heiter ums Herze«,
sagte er zwinkernd. »Der Bold aus der Großstadt. Endlich können wir vom Schach
zum Skat übergehen. Spielen Sie?«
    »Nicht gut, Herr Oberarzt«, antwortete
ich. »Aber ich bin ein guter Verlierer.«
    »So was ham’ wir gerne. Komm, Pinkus,
sauft hier nicht alleine. Hol mir auch ‘nen Strahl.«
    Pinkus besorgte eine weitere Flasche.
Ich fühlte mich noch wohler. Der Mann sah nicht aus, als ob er sich über die
Erfindung der Arbeit besonders gefreut hätte.
    Die nächste Viertelstunde verging mit
Erzählen und Biertrinken.
    Als wir geräuschvoll auf eine fröhliche
Zusammenarbeit anstießen, bewegte sich die Tür abermals ganz leise und ohne
Geräusch. Ein Kopf kam durch den Spalt und neigte sich schief. Der Körper blieb
draußen, offenbar kein großer Verlust.
    Die Dame trug das Haar straff und glatt
zu beiden Seiten eines Mittelscheitels. Das war wohl der, der bei Pinkus
fehlte. Ihr Gesicht zog sich in die Länge, aber irgendwo war es das von einem
putzigen Kobold und nichts von Gouvernante darin. Von der blassen Haut stachen
zwei knallrote Bäckchen ab. Wie Lippenstift auf einem Bettuch. Hinten lief das
Haar zu einem Knoten zusammen, aus dem zwei gewellte Haarnadeln herausragten.
Der Kopf mußte über Vierzig sein und somit auch der Rest.
    Die Oberlider fingen an zu klappern.
Die Bäckchen wölbten sich nach außen.
    »Was sehe ich dort? Flaschen um die
Mittagsstunde? Gierige Schlünde am Glasesrand?«
    »Komm rein und mach die Tür zu,
Staggin«, sagte der Oberarzt Bierstein. »Ich stelle Ihnen den Kollegen Bold
vor. Herr Bold, das ist die Staggin. Fräulein Doktor Edeltraud von Stagg. Ihr
Stammbaum ist so lang wie eine Wagneroper.«
    »Verliert sich in grauer Vorzeit«,
ergänzte Pinkus.
    Das Fräulein Doktor zog ihre Figur ins
Zimmer. Sie hob den Finger vor meiner Nase.
    »Ach, wie bold... ach, wie bold...
schwinden Schönheit und Gestolt!«
    Ich dachte einen Augenblick nach und
erwiderte:
    »Gestern noch sehr hoch die Tassen,
    heute unterm grünen Rasen.«
    Niemand wußte in dieser Minute, wie
bald es damit losgehen sollte.
    Das Fräulein Doktor gefiel mir trotz
der Haarnadeln. Sie paßte genau in den Haufen zu Bierstein und zu Pinkus, und
ich würde auch hineinpassen, wie ich mich kannte.
    Sie bekam auch Bier. Dann erzählten wir
noch eine Weile. Es hätte glatt Abend werden können darüber, aber dann sah der
Oberarzt doch mal auf die Uhr.
    »Ich glaube, wir müssen noch ein
bißchen für unseren Lebensabend tun. Pinkus, sein Se so gut,
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