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Die letzte Nacht der Unschuld

Die letzte Nacht der Unschuld

Titel: Die letzte Nacht der Unschuld
Autoren: India Grey
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„Hat mich sowieso überrascht, als ich hörte, dass du mitkommst. Du hast ja mit Campano nichts mehr zu tun, nicht wahr? Nicht mehr, seit du damals das Interview mit Maresca übernommen hast.“
    Colleen wurde übel. „Stimmt. Also, was müssen wir mitnehmen? Einladung, Bargeld, Zimmerschlüssel …“
    „Angeblich spielen sie da Poker und Roulette.“ Lisas flatterhafter Geist ließ sich dankbarerweise leicht ablenken. „Das wird wie in einem James-Bond-Film.“ Sie sprühte eine zusätzliche Dosis Parfüm auf. „Es hat mich schon immer gereizt, so was mal auszuprobieren. Was ist mir dir? Wirst du dich am Glücksspiel versuchen?“
    Eine Welle der Panik überrollte Colleen, und sie musste sich auf dem Bett abstützen. „Ja.“ Sie schnappte atemloses nach Luft. Um es zu kaschieren, tat sie, als müsse sie die Ferse eines Schuhs richten.
    Es klopfte laut an der Zimmertür. Lisa sah auf die Uhr und griff nach ihrer silbernen Abendtasche.
    „Das wird Ian sein. Wir wollten uns schon vor einer Viertelstunde mit ihm an der Bar treffen.“ Dann rief sie laut: „Wir kommen!“, und eilte zur Tür, als das Klopfen wieder ertönte.
    „Geht schon vor“, rief Colleen ihr nach. „Ich will noch kurz Alexander anrufen. Ich komme gleich nach.“
    „Wie du meinst.“ Lisa hätte wenig Verständnis dafür aufgebracht, den Startschuss des Abends noch weiter zu verzögern, noch dazu für etwas so Langweiliges wie ein Telefonat mit einem Dreijährigen. „Wir sehen uns drüben. Es sei denn natürlich, Cristiano Maresca fängt mich ab und zerrt mich in eine dunkle Ecke …“
    Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss. Lisas Lachen entfernte sich, als sie zusammen mit Ian den Korridor hinunterging. Im Zimmer sank Colleen auf die Bettkante, schloss die Augen und atmete tief durch.
    Seit heute Nachmittag um zwei, als sie zusammen zum Leeds Airport gefahren waren, hatte Lisa praktisch ununterbrochen geredet und Colleen damit fast in den Wahnsinn getrieben. Andererseits hatte ihr ständiges Geplauder Colleen eine willkommene Ablenkung von den eigenen Ängsten geboten – die jetzt in der plötzlichen Stille wieder auf sie einstürzten.
    Mit zitternden Fingern nahm sie ihr Handy. Sie sehnte sich danach, Alexanders Stimme zu hören. Vielleicht würde es ihr helfen, sich noch einmal vor Augen zu führen, weshalb sie das hier tat, und sie davon abhalten, ihren Koffer wieder zu packen und sich ein Taxi zum Flughafen zu nehmen.
    Cristiano stand vor dem Spiegel und fluchte. Das war jetzt der sechste fehlgeschlagene Versuch, die seidene Fliege zu binden. Ganz gleich, wie viele formelle Dinner und Veranstaltungen in Abendgarderobe er über die Jahre hinter sich gebracht hatte, es wurde nicht einfacher – gerade so, als wäre dieses boshafte kleine Ding entschlossen, ihn als den Hochstapler zu entlarven, der er war. Der Junge aus Neapels engsten Gassen. Der Junge mit der gebrauchten Schuluniform. Der Junge, der keine Zeile in sein Schulheft ohne Tintenkleckse schreiben konnte. Der Junge, aus dem nie etwas werden würde.
    Verdammt.
    Über dem blütenweißen Kragen seines Hemdes zuckte ein Muskel in der frisch rasierten Wange. Verflucht sei Suki für ihre idiotische Idee einer völlig absurden und unnützen Party. Verflucht sei er selbst, dass er mitmachte.
    Zischend stieß er die Luft aus und drehte sich vom Spiegel weg. Praktisch alles, was er in den letzten zwölf Jahren erreicht hatte, war Resultat seiner Flucht vor der eigenen Vergangenheit. Weit in die Zukunft hatte er nie geschaut. Wozu auch? Seine Zukunft war vorerst gesichert gewesen, also hatte er für den Moment gelebt, mit voller Kraft.
    Ruhm oder Tod, das waren immer die beiden Alternativen gewesen. Entweder er gewann weiter, bis er bereit war, aufzuhören, oder er ging in einem Feuerball unter. Dieser Kampf mit den eigenen Dämonen war ihm fremd, er verstand nichts davon. Eine solche Möglichkeit war nie eingeplant gewesen.
    Cristiano riss sich das Seidenband vom Hals, warf es auf das Bett und ging zum Kleiderschrank – das einzige andere Möbelstück in dem großen Raum. Vor sechs Jahren hatte er die Villa hoch in den Hügeln über Monte Carlo gekauft, aber irgendwie hatte er nie die Zeit gefunden, sie auch einzurichten. Vor dem Unfall war er ständig unterwegs gewesen, und seit dem Unfall …
    Er zog die alte Ledertasche aus dem Schrank, die ihn zu den Rennstrecken auf der ganzen Welt begleitet hatte. Es war, als würde sie seit dem Unfall auf ihn warten. Bis die Puzzleteilchen
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