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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Werkstück handelte, das er als Geselle angefertigt hatte, waren seine Ansprüche besonders hoch.
    »Adaliz soll sich nicht dafür schämen, mich Meister Gerlach empfohlen zu haben«, sagte er mit einem Blick auf die von der Frühlingssonne beschienene, unvollendete Westfassade, deren drei gotische Portale zu den gestalterischen Höhepunkten des Münsters gehören würden. Seit beinahe zweihundert Jahren wurde bereits an der Liebfrauenkirche gebaut, deren ehrgeiziges Ziel es war, sich zum höchsten Bauwerk der Menschheit aufzuschwingen.
    »Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich meine Lehre niemals abschließen können«, stellte Bertram fest.
    Anabel nickte und richtet sich wieder auf, um ihm einen Kuss auf die Nasenspitze zu drücken. Auch sie würde dem entfernten Verwandten ihrer Mutter auf ewig zur Dankbarkeit verpflichtet sein. Einzig dieser, der alte Meister Adaliz, hatte Bertram als Lehrling aufgenommen, obschon weder Unterkunft noch Verpflegung gefordert worden waren. Die anderen Straßburger Steinmetze hatten den jungen Mann voller Misstrauen beäugt, da sie nicht sicher waren, was sie von ihm halten sollten.
    »Eine bessere Ausbildung hättest du nicht bekommen können«, pflichtete Anabel ihm bei und ergriff seine Hand. »Wenn Meister Gerlach erst dein Talent erkennt«, fuhr sie fort, »dann lässt er dich bestimmt an dem Hauptportal mitarbeiten.«
    Bertram atmete tief durch, bevor er sich bückte, um die Leinwand wieder über die Figur zu ziehen. »Ich hoffe es«, murmelte er und ließ sich von Anabel in Richtung Ill ziehen, wo die drei Türme der Stadtbefestigung in den nur leicht bewölkten Himmel ragten.
    Wie jeden Sonntag wimmelten die von Kanälen durchzogenen Gassen von jungen Paaren, Kindern und den aus dem Umland angereisten Adeligen, die in der reichen Handelsmetropole Unterkunft genommen hatten. Anders als in Ulm waren in Straßburg seit ihrer Ankunft vor über einem Jahr kaum Pestfälle aufgetreten; und auch ansonsten strotzten die Bewohner der wohlhabenden Stadt vor Gesundheit.
    Hand in Hand schlenderten die beiden jungen Leute am Ufer entlang, genossen den Duft der Apfel- und Kirschblüten und beobachteten den gemächlichen Zug der Schwäne auf dem glitzernden Wasser. Im Hintergrund leuchteten die mit bunten Schindeln gedeckten Dächer der Handelskontore, die sich den beengten Raum mit den dicht an dicht gebauten Häusern der Handwerker teilten. Unzählige Schiffe waren an den Anlegestellen vertäut, und sobald am morgigen Montag der Alltag wieder seinen gewohnten Gang nahm, würde sich der Fluss in einen wimmelnden Ameisenhaufen verwandeln.
    Anabel war glücklich. Seit sie im vergangenen Januar die Stadttore durchschritten hatten, glich ihr Leben einem Märchen. Tag für Tag fürchtete sie, eines Morgens zu erwachen und sich wieder in der Glockenhütte ihres Vaters vorzufinden. Stattdessen schlug sie jeden Morgen die Augen auf und blickte in Bertrams friedliche Züge. Sie zog seinen Arm um ihre Taille und legte lächelnd die Hand auf ihren gewölbten Bauch. Nicht mehr lange, und sie würde seinem Kind das Leben schenken!
    Nachdem der kleine Frieder im vergangenen Sommer das Licht der Welt erblickt hatte, hatten sie sich beinahe augenblicklich daran gemacht, für weiteren Nachwuchs zu sorgen, da Anabel sich nichts sehnlicher wünschte als ein ganzes Haus voller Kinder. Zu ihrer heimlichen Erleichterung hatte der rotblonde Frieder keinerlei Ähnlichkeit mit seinem Vater, da er ihr Haar und die leuchtend blauen Augen geerbt hatte. Mit seinen neun Monaten war er bereits ein lebhafter Wildfang, der die Amme immer wieder an den Rand der Verzweiflung zu bringen drohte.
    Dank des Geldes, das Katharina von Helfenstein ihnen anvertraut hatte, fehlte es ihnen an nichts, doch seit Bertram volle Bezahlung erhielt, achtete Anabel peinlich darauf, jeden Pfennig zu ersetzten, den sie für sich ausgegeben hatten. Sowohl das Bürgergeld als auch die Kosten für Bertrams Werkzeug waren bald angespart, und sobald sie Antwort auf ihre Nachricht erhielt, würde sie die Geldkatze der Gräfin wieder füllen. Ein Seufzen baute sich in ihr auf, als dieser eine Wehrmutstropfen drohte, ihr die Laune zu verderben. In der Zeit seit ihrer Flucht aus Ulm hatte sie den quirligen Wulf in ihr Herz geschlossen wie ihren eigenen Sohn. Dunkel und ungestüm brachte der eineinhalbjährige Knabe sie immer wieder zum Lachen; und obschon sie ihn hin und wieder energisch in die Schranken weisen musste, liebte sie ihn abgöttisch. Es
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