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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels
Autoren: Silvia Stolzenburg
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und Johann, dessen magerer Körper bereits oft genug die Bekanntschaft von Conrads Gürtel gemacht hatte, kroch wieselflink unter den Tisch. Gertrud, die sich inzwischen das Blut vom Mund gewischt und den Kopf des sechsjährigen Uli an ihre magere Brust gedrückt hatte, schlug hastig die Augen nieder und griff nach dem Krug, um Conrad den Becher erneut mit gewürztem Starkbier zu füllen.
    Anders als auf den Holzbrettern seiner Familie fanden sich auf Conrads Essunterlage helles Weizenbrot und knusprige Hühnerbeine, die in einem dickflüssigen Bratensaft schwammen, den er mit der Kruste auftunkte. Die ebenfalls sauber ausgewischte Schale zu seiner Linken ließ vermuten, dass Gertrud die von ihm bevorzugte Eiersuppe mit Hirse zubereitet hatte, die er ebenso liebte wie den fetten, gesottenen Aal und das mit Grieben verfeinerte Schweineschmalz. Wie immer hatte er das verkochte Kraut, den zerstoßenen Kürbis und die Kochbirnen ignoriert, sodass Anabel es wagen konnte, nach einem der harten Roggenbrotkanten zu greifen und diesen in das in Bier eingelegte Kraut zu tauchen. Da Conrad immer noch nicht begreifen wollte, dass man sie im Kloster nicht mästete, schätzte sie sich glücklich, wenn von den Mahlzeiten der Familie am Abend noch etwas für sie übrig blieb. Nur selten kam sie früh genug nach Hause, und da sie nach der harten Arbeit an diesem Tag nagenden Hunger hatte, nutzte sie den abgewendeten Gewittersturm aus und griff reichlich zu. Zwar lagen auf dem Tisch nur noch ein paar halb abgenagte Knochen, doch da sie nicht wusste, wann sie das nächste Mal in den Genuss von frischem Hühnerfleisch kommen würde, brach sie selbst die kleinsten Knochen entzwei, um auch das Mark auszusaugen.
    Als Conrad sich schließlich mit einem kehligen Rülpsen die öligen Hände an der Hose abwischte, zuckten alle Köpfe in die Höhe. »Ich treffe mich heute Abend mit dem Vater des Jungen«, erklärte er selbstgefällig. »Der Preis, den er für ihn verlangt, ist mir noch zu hoch.« Ein harter Zug umspielte seine schmalen Lippen. »Wenn ich ihn nicht in die Lehre nehme, endet er als Bettler.«
    Ohne seine Familie eines weiteren Blickes zu würdigen, angelte er Umhang und Gugel, die er sich über den Kopf zog, vom Haken und stapfte in Richtung Hof davon.
    Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, herrschte zuerst ein beinahe unheimliches Schweigen, bevor sich der dunkelblonde Uli aus den Armen seiner Mutter löste, zum Schlüsselloch schlich und nach einigen Sekunden erleichtert verkündete: »Er ist weg.« »Gott sei Dank«, murmelte Gertrud und schob Anabel den Rest Brot über den Tisch. »Heute war er besonders übellaunig.«
    Anabel seufzte. »Wenn ich doch nur etwas tun könnte, um euch zu helfen«, brachte sie unter Kauen hervor, doch Gertrud schüttelte abwehrend den Kopf.
    »Ich kann ihn ja verstehen«, hub sie an, und wie immer, wenn ihre Stiefmutter ihren prügelsüchtigen Vater verteidigte, stieg Anabel die Galle in die Kehle. »Die Geschäfte laufen nicht gut, die ungarischen Glockengießer überschwemmen den Markt, und er wusste bis gestern nicht, wo er einen neuen Lehrling hernehmen soll.«
    Anabel schnaubte, spülte den Ärger jedoch rasch mit einem Schluck Bier hinunter. »Wenn er ein bisschen besser auf den alten Lehrling aufgepasst hätte, hätte er kein Problem!« Noch immer keimte ab und zu schwarzer Zweifel in ihr auf, was den Tod des sechzehnjährigen Bartholomäus anging, der an der Verletzung, die er sich zugezogen hatte, als er mit der bloßen Hand in die Schmelze gefasst hatte, gestorben war. Zu oft hatte ihr Vater sich über den ungeschickten Jungen beschwert, der durch den Lehrvertrag, den er mit ihm geschlossen hatte, bis zur Vollendung seiner Ausbildung an ihn gebunden war.
    »Wie hat er das mit dem neuen Jungen gemeint?«, fragte sie Gertrud, die damit begonnen hatte, das Geschirr zusammenzustellen.
    »Ich weiß es nicht genau«, gab diese zu und drückte der fünfjährigen Ida, die sich auf Anabels Schoß geschoben hatte, einen Kuss auf den blonden Schopf. »Du weißt ja, wie er ist. Nichts als Andeutungen.« Sie hob die Schultern und schürte das Feuer unter dem Bottich, der mit Wasser aus dem hauseigenen Brunnen gefüllt war. »Aber es klingt nicht besonders gut für den Burschen. Soweit ich es verstanden habe, muss sein Vater ihn verkaufen.«
    Bei der Vorstellung, an einen Meister wie Conrad verkauft zu werden, wollte sich Anabel der Magen umdrehen. Der arme Junge! Er tat ihr jetzt bereits
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