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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Tagedieben ausweichend, die sich trotz der strengen Regeln immer noch innerhalb der Stadtmauern aufhielten, ließ sie die unterschiedlichen Zunftviertel hinter sich und bog schließlich kurz vor der Herberge Drei Kannen in eine kleine Straße ein, zu deren Seiten sich Misthaufen und Abfälle stapelten. Wie überall in der Stadt zuckten auch hier die Rüssel der allgegenwärtigen Schweine durch die morastigen Rinnen und Rillen, da die Einwohner Ulms schon lange den Nutzen der Tiere als natürliche Kläranlage erkannt hatten. Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck hob Anabel die Röcke, um zu vermeiden, dass sich der grobe Stoff mit dem Urin und Kot der Gassenbewohner vollsog, die ungeniert ihre Nachttöpfe ins Freie entleerten. Als sie sich dem Ende des Gässchens näherte, in dem das Steinhaus ihres Vaters sich deutlich von den es umgebenden Holzkaten abhob, stach ihr der Geruch frisch gebrannten Lehms und abkühlender Glockenschmelze in die Nase. Seit frühester Kindheit verband sie diese Kombination aus warmem Erdduft und beißendem Metallgestank mit der sengenden Hitze der Glockenhütte und den schwieligen Pranken ihres Vaters Conrad. Während die immer kälter werdende Nacht mit einem Schlag alle Wärme aus ihrem Körper zu saugen schien, verlangsamten sich ihre Schritte, und bevor sie die schwere Tür aufstemmte, holte sie einige Male tief Luft.
     
    Wie erwartet, lagen sowohl der Eingangsbereich als auch der daran anschließende Innenhof in tiefer Dunkelheit, und lediglich ein schwaches Glühen aus der rechts von ihr in die Schatten geduckten Glockenhütte verriet, dass die Gesellen ihres Vaters noch bei der Arbeit waren. Aus dem hinteren Teil des Hauses, in dem sich sowohl die Küche, das Lager als auch die Schlafkammer der Kinder befanden, drangen laute Stimmen an ihr Ohr, die sie wünschen ließen, es wäre bereits Freitag.
    »Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, du sollst den Gesellen keine schönen Augen machen!«, dröhnte der Bass ihres Vaters. Unmittelbar darauf folgten ein Schlag und das Weinen eines Kindes. »Halt dein Maul, Uli, oder du kriegst auch eine Abreibung!« Die Stimme des offensichtlich betrunkenen Conrad überschlug sich, und als Anabel trotz allen besseren Wissens die Tür zur Küche aufzog, in der die Familie um einen groben Holztisch versammelt war, zuckte der Blick der rot unterlaufenen Augen in ihre Richtung.
    »Ach, die feine Dame hat es auch endlich nach Hause geschafft«, spuckte der Glockengießer aus und stemmte sich mit den Fäusten vom Tisch in die Höhe.
    Seine Gattin, Anabels Stiefmutter, kauerte mit aufgeplatzter Unterlippe in der Nische, die der gemauerte Kamin mit der Wand bildete, und hob beim Anblick ihrer Stieftochter flehend die Hände. »Conrad, bitte. Es geht doch nur um mich.«
    Ihr Bitten ignorierend, taumelte der hünenhafte Meister auf Anabel zu, baute sich keinen halben Schritt vor ihr auf und starrte auf sie hinab. Leicht schwankend hatte er augenscheinlich Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, doch als Anabel vor ihm zurückweichen wollte, packte er sie zielsicher am Kragen ihres Hemdkleides.
    »Faules Gesindel seid ihr allesamt«, zischte er und schüttelte seine älteste Tochter unsanft. Da sie aus schmerzhafter Erfahrung wusste, dass es nicht ratsam war, ihm in diesem Zustand zu widersprechen, senkte das Mädchen scheinbar schuldbewusst den Kopf und starrte auf die riesigen Schuhe ihres Vaters.
    »Wenn ich nicht morgen den neuen Lehrling bekommen würde«, lallte Conrad und stieß Anabel verächtlich von sich. »Dann, und das schwöre ich bei Gott, hättest du in Zukunft die Schmelze rühren können, anstatt in diesem Kloster herumzulungern.«
    »Einen neuen Lehrling?«, platzte es aus Anabel heraus, bevor sie sich zurückhalten konnte. »Aber das können wir uns doch gar nicht leisten.«
    Anstatt des erwarteten Schlages traf sie lediglich der faulige Atem des angeheiterten Gießers, als er den Kopf in den Nacken warf und brüllend lachte. Die schlechte Laune wie weggewischt, drosch er seiner Tochter auf die Schulter, sodass sie in die Knie sackte, und dröhnte: »Man muss nur die Ohren an der richtigen Stelle haben, dann erfährt man, was gerade günstig zu haben ist!« Mit diesen Worten schob Conrad den dreijährigen Johann grob zur Seite, sodass der Knabe hart auf dem Lehmboden aufschlug, und hob drohend die Hand, als das Kind das Gesicht zu einer Maske des Schmerzes verzog. »Wenn du anfängst zu flennen, gebe ich dir Grund dazu«, drohte er,
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