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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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tun hat. Sie bleibt frei, verwickelt sich nicht in Diskussionen, sondern hört einfach zu und versucht, gut zu sich zu sein. Am anderen Morgenentschuldigt sich Georges erstmals bei ihr und sagt, er habe gemerkt, dass er seine Vorstellungen über ihr Zusammenleben als Paar so revidieren müsse, dass beide ihren Platz haben. Tina dankt ihm und ist erleichtert. Noch ist sie vorsichtig. Dass Georges sie ab und zu an ihre Mutter erinnert, ist Tinas Anteil, für den sie selbst verantwortlich ist. Es ist ihre große Wunde.
    Die Einsicht in die Ausweglosigkeit ihrer Bemühungen hat Tina und auch Georges ein Stück weit befreit. Noch ist es offen, wie es weitergehen wird. Wenn man ganz unten am Boden angekommen ist, kann es weiter- und aufwärtsgehen. Tina und Georges haben sich mit ihren jeweiligen kindlichen verletzten Selbsten ineinander verstrickt. Bei Tina ist es das bemühte, übereifrige Selbst, bei Georges das trotzige, verletzte Selbst. Die beiden lieben einander, trotz allem. Wenn eine(r) der beiden daraus auszusteigen vermag und in ein erwachsenes Selbst wechseln kann, dann hat auch die Partnerperson bzw. ihr kindliches Selbst eine neue Möglichkeit, in ein erwachsenes Selbst zu wechseln: durch Bewusstwerdung, im Erkennen der Weisheit, die in der Ausweglosigkeit liegen kann.
    Wenn alle Erwartungen fallen gelassen werden, bedeutet dies, ganz im Jetzt zu sein. Annehmen, was ist, damit es sich verwandelt. Und wenn es sich nicht verwandelt, sondern ständig gleich bleibt, dann lauern Schuldgefühle, die unbewusst oder bewusst abgewehrt werden. Sie behindern das Beenden einer Situation, die als ausweglos erkannt wird.
    Im Fall von Georges und Tina hat die Erkenntnis der Ausweglosigkeit einen neuen Weg gewiesen. Die beiden haben erkannt, dass es nicht um das Beenden ihrer Beziehung geht, sondern um das Beenden des destruktiven Musters ihres Zusammenlebens.
    Ein weiteres Beispiel. Barbara und Anita, ein langjähriges lesbisches Paar, hoffen auf das Wunder, dass sie eines Tages nicht mehr ständig über alles und jedes streiten müssen. Die Streitigkeiten sind zu einer üblen Gewohnheit geworden. Beide erklären, dass sie nie im Leben gelernt haben, sichabzugrenzen, sich für sich selbst zu wehren, nein zu sagen. Beide gehen auf die vierzig zu. Darf man sich bis ins fortgeschrittene Alter darauf herausreden, dass man etwas früher nicht lernen konnte? Oder zwingt die Lebenssituation nicht vielmehr dazu, endlich zu lernen, sich abzugrenzen? Ja, endlich nein sagen zu dürfen? Ja, endlich dieses fürsorgliche, ängstliche Verhalten aufzugeben, weil es regelmäßig zu Explosionen führt?
    Eine Weisheit in der Ausweglosigkeit von Barbara und Anita könnte sein, zu erkennen, dass ein Weiterführen des bisherigen Musters beide Seiten immer mehr entwürdigt, demütigt und schwächt. Es gibt den Ausweg, dass sich beide für die jeweils eigene Würde und für das eigene Lebensrecht bewusst und konsequent einsetzen dürfen. Ein langer Weg. Ein schmerzvoller Prozess. Eine intensive Therapie, um zu erkennen, was sie daran gehindert hat, sich für sich selbst einzusetzen. Die Therapie auch dann fortsetzen, wenn sich alle Haare sträuben, denn dann geht’s ans »Eingemachte«. Den Weg freimachen. Frei von Schuldgefühlen, frei von Angst, von falschem Mitleid – in Würde für sich und die Freundin, in Mitgefühl und in Liebe – für beide eben, für sich selbst und für die Freundin. Es mag als überfordernd, zu schwierig erscheinen. Vor allem gilt es, es hundertmal zu versuchen. Vielleicht reicht es noch nicht.
    Nur stetes Üben bzw. Imaginieren der wechselseitigen Anerkennung – und damit ein Eingeständnis der Ausweglosigkeit der Streitigkeiten – verändert einen Menschen emotional und damit auch seine Beziehungsfähigkeit. Inzwischen können auch die Hirnforscher beweisen, dass stete Übung, regelmäßige Imagination auch in den Hirnbahnen eine Veränderung bewirken.
    Die Ambivalenz in einer schwer erträglichen Situation kann in eine hoffnungslose Ausweglosigkeit münden, die zu Angst und Panik führt. Zugleich weiß man nicht, wohin man sich wenden kann. Die Ängstigung durch erwartete Ablehnung, Rückzug oder Verletzung führt zur Blockade. Dies ist die Situation bei Menschen mit frühen Bindungsstörungen, die im späteren Leben keine neuen, stärkendenBindungserfahrungen machen konnten. Oft lösen sie das Problem, indem sie ein zwanghaftes, übermäßiges Fürsorgeverhalten entwickeln und dadurch innerlich Halt gewinnen.
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