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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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Und zwar in einer Rollenumkehr dessen, was sie früher bei den primären Bezugspersonen erlebt haben: emotionale Vernachlässigung durch Depression, Krankheit und anderes.
    Wenn ein Mensch in einer Freundschaft, einer Liebesbeziehung oder in einer Psychotherapie eine neue Beziehungserfahrung machen kann, ist Heilung möglich. Heilung aus einer anderen Art von Ausweglosigkeit, aus jener von Angst und Ambivalenz.
    »Überlebenskünstlerinnen« – so haben Cristina Karrer und ich jene Frauen in Südafrika genannt, mit denen wir Gespräche über ihr Überleben im schwierigen Nach-Apartheid-Alltag von Armut und Entbehrung geführt haben (Ley & Karrer, 2004). Die schwarzen Frauen in den Townships sind arm, oft krank, ungebildet, alleinerziehend, in einer ausweglosen Situation, so scheint es. Sie sind benachteiligt, haben kaum materielle Ressourcen, aber sie haben menschliche Ressourcen: die Einsicht, dass sie aus dem wenigen, das sie haben, ihr Leben für sich und ihre Kinder zu bestreiten haben. Und dass sie es tatsächlich mit Humor und Intuition tun. Und dass sie nach Schicksalsschlägen aufstehen und weitermachen, was sonst? Ihre Widerstandskraft ist beeindruckend. Genährt wird sie durch die völlige Akzeptanz der ausweglosen Situation und oft durch die Verankerung in einer Religion. Es bedeutet nicht Resignation, sondern Überlebensmut, mit Lebensfreude und Humor. Und ihre Kinder sind auch so. Es gibt keine Spielsachen, die Kinder haben Hunger. Man hört ihr Lachen. Sie scheinen genauso fröhlich zu sein wie unsere Kinder.
Die eigene Entwicklung als Zauber des Beendens erleben
    »So glücklich wie ich«, rief Hans im Glück aus, »gibt es keinen Menschen unter der Sonne!«
    Grimms Märchen

    Hans im Glück trug schwer an seinem Goldklumpen, den er als Lohn für sieben Jahre Arbeit erhalten hatte. Und so tauschte er ihn gegen ein Pferd ein. Nun konnte er reiten. Doch als er vom Pferd abgeworfen wurde, wünschte er sich ein pflegeleichteres Tier. Und so wechselte er zur Kuh, später zum Schwein und schließlich zur Gans. Und als er dem munter singenden Scherenschleifer begegnete, hielt ihn nichts mehr, die Gans gegen einen Schleifstein und einen gewöhnlichen Feldstein einzutauschen. Die Steine fielen ihm beim Trinken an einem Brunnen vom Brunnenrand. Zauber des Beendens. Und so sprang er leichten Herzens und frei von aller Last fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.
    Bei jedem Tausch betrachtete sich Hans als Glückspilz und ging vergnügten Herzens weiter. Wir lernen Hans im Glück als einen jungen Mann kennen, der Zufriedenheit, Lebenslust und Leichtigkeit lebt. Er erhält immer, was er braucht, und ist glücklich. Jedes seiner spielerisch erworbenen Güter hat, wie er erfährt und wie es eben ist, seine Vorteile und Nachteile. Wenn er die Nachteile erlebt, kann er beenden, weggeben, tauschen. So ist er jedes Mal froh, das Erworbene wieder los zu sein. Und immer entstehen neue Bedürfnisse. Er hat immer, was er braucht. Er ist auf dem Weg seines persönlichen Lebens, auf dem Weg zu seinem Glück.
    Gut erlebtes Beenden beinhaltet, dass der Schrecken des Verlustes weniger gewichtet wird als der Prozess des Beendens. Der Verlust wird wahrgenommen, vielleicht mit Wehmut betrachtet, doch das Loslassen macht die Hände wieder frei. Hans im Glück im Grimm-Märchen erlebt immer wiederBeenden und Loslassen als Erleichterung, als Glück, als Freiheit.
    Gutes Beenden ist ein Einstimmen und Dazugehören zum Fluss des Lebens, zur Abfolge von Tag und Nacht, Leben und Tod. Das hat etwas Versöhnliches, Tröstliches. Und es verbindet mit den anderen Menschen und dem Universum. Der Fluss fließt, wir können ihn nicht anhalten. Der Tag endet, die Nacht kommt. Die Nacht endet, der Tag kommt. Dasselbe mit den Jahreszeiten. Wenn wir uns in diesen Fluss des Lebens ergeben, gehören wir zum Universum und fühlen uns zugehörig.
    Der Zauber des Beendens hat für mich mit einer Lebenshaltung der Gelassenheit und Großzügigkeit zu tun – sein wie die Natur, wie die Lilien auf dem Feld. Es tut gut, gelassene und großzügige Menschen um sich zu haben. Es ist Luft da zum Atmen; es ist Raum da, um sich zu bewegen; es ist Zeit da, um sich zu finden. Gelassene und großzügige Menschen haben sich selbst gern und nehmen sich selbst in Gelassenheit und Großzügigkeit an.
    Sie sind keine besseren Menschen als wir. Was sie erreicht haben, liegt auch im Bereich unserer Möglichkeiten.
    Seit Jahrhunderten streben Menschen Gelassenheit an und
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