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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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große Liebe, die sie für ihre Tochter empfinde. Diese Liebe fülle langsam die Leere, die ihr Tod hinterlassen habe. Solches Beenden wird zu einer Ressource, einer Quelle von neuen Lebenskräften.
    Annehmen, was ist. Offen sein für Wandlung. Offen sein für die Liebe. Offen sein für die Erfahrung, dass Beenden eine Erleichterung, ja Freude bringen kann. Ein Mensch erlebt sich, seine Beziehungen und die Welt neu, wenn ein Partner weggeht, eine Beziehung einseitig beendet wird. Der verbleibenden Seite bleiben Enttäuschung und Trauer – und viel später die neue Ausrichtung auf das eigene Leben. Das kann mit der Zeit auch ein neuer Aufbruch werden, ein Aufblühen, eine Befreiung. Erfahrungsgemäß kann das einige Jahre nach dem Weggang oder Tod eines Partners durchaus möglich sein.
    Entwicklung hat viel mit dem Verändern von sogenannten Gewohnheiten bzw. von erlerntem Verhalten in Bezug auf das Beenden zu tun. Ausharren und Weglaufen, Annahme und Verleugnung sind nur Andeutungen des breiten Spektrums.
    Ein Beispiel: Claudine, eine Ärztin in der Lebensmitte, hat sechzehn Jahre lang in einer Klinik ausgeharrt, obwohl sie mit dem Chef nicht zurechtkam, immer wieder gemobbt wurde sowie mehrere depressive und suizidale Phasen erlebte. Es war ihr nicht möglich, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Sie fühlte sich in sich so unsicher, so allein, dass sie alles in Kauf nahm, um keinen Wechsel vornehmen zu müssen. Sie wiederholte damit ihrKindheitstrauma: alles in Kauf zu nehmen, um sich die vermeintliche Liebe ihrer Eltern zu sichern. Das war schon damals misslungen. In der Wiederholung geschah nochmals dasselbe. Claudine erlebte mehrere schlimme Unfälle. Sie erholte sich immer.
    In der Zwischenzeit hatte sie eine langjährige Gruppentherapie begonnen. In den ersten Jahren zeigte sie sich in der Gruppe misstrauisch, skeptisch und verschlossen. Sie spürte das Mitgefühl der anderen, doch sie konnte es lange nicht erwidern. Die Angst war zu groß, sich dabei zu verlieren. Sie war ausdauernd und beharrlich genug, dabeizubleiben. Sie lernte auf einer Ferienreise einen Mann kennen und lieben, der an sie glaubte. Sie fühlte auch mehr und mehr, dass die Gruppe an sie glaubte. Im Beruf spitzte sich die Situation zu. Claudine wurde ernstlich krank und musste monatelang der Arbeit fernbleiben. Krankgeschrieben. Und dann spürte sie, dass sie an diesen Arbeitsplatz niemals zurückkonnte. Nun konnte sie die Kündigung einreichen. Sie fühlte sich dabei als Versagerin.
    Zu ihrem eigenen Erstaunen wagte sie, in einer anderen Stadt eine eigene Praxis zu eröffnen. Der berufliche Neubeginn gelang. Die Gruppe hielt zu ihr und gab ihr Sicherheit und Akzeptanz. Ebenso der Mann, den sie liebte und der sie liebte. Dadurch war es Claudine über lange Jahre hinweg möglich geworden, sich selbst immer mehr zu vertrauen, in sich selbst Sicherheit aufzubauen.
    Beruflich hatte sie mit dem Traum abgeschlossen, in einer Klinik Karriere zu machen. Das Anerkennen der Wirklichkeit erforderte etwas anderes von ihr. Sie lebte nun ihr selbständiges Leben in der Praxis, und es wurde ihr zur Erfüllung. Claudines Gedanken über sich und die Wirklichkeit waren weit schlimmer gewesen als die Wirklichkeit. Ein Beenden ihrer unhaltbaren beruflichen Situation war deshalb nicht möglich gewesen, weil der Gedanke an ihr Kindheitstrauma – alles in Kauf nehmen und doch nicht geliebt werden – ihr den Blick auf die Wirklichkeit versperrt hatte. Sie war intelligent, traf einen Mann, eröffnete eine Praxis. Das Aufgeben ihrer Gedanken über die bisherige Wirklichkeit und das mutige Eintauchen in eine neueWirklichkeit gingen Hand in Hand. Claudine hat eine persönliche Entwicklung vollzogen.
    Veränderungen sind im Leben meist nur in sehr kleinen Schritten möglich, zumal ein Verändern-Wollen oft erst durch einen gewissen Leidensdruck entsteht. Die meisten Menschen wollen nichts verändern. Veränderungen finden erst unter Leidensdruck statt.
    Bei jahrelangen und jahrezehntelangen Gewohnheiten ist es aus psychologischer und auch aus neurobiologischer Sicht extrem schwierig, sie zu verändern. Sie haben sich neurologisch dem Zugriff durch das Bewusstsein entzogen. Man kann Gewohnheiten ausschließlich durch stete Übung eines neuen Musters verändern bzw. durch ein alternatives Muster ersetzen. Was die Veränderbarkeit erschwert, das ist durch zumeist frühkindliche Bindungserfahrungen, Traumata und Verluste bestimmt, möglicherweise auch durch genetische
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