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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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Sichtweise verändern. Die Übung des Weggebens und Aufgebens zeigt uns, wo wir noch festhalten und uns anklammern. Es sind unter anderem unsere Pläne, die uns das Leben zunichte machen: ein Freund verlässt uns, ein lieber Mensch stirbt, eine Firma macht Konkurs, eine Krankheit zwingt uns in die Knie. Das Leben fordert uns ein Beendenab. Wenn wir diese Erkenntnis in unser Lebensgefühl einbauen, gewinnen wir langsam, aber sicher Vertrauen in alles das, was uns das Leben schenkt. Nichts ist selbstverständlich. Unausweichlichkeit, Ausweglosigkeit eröffnen den Weg in ungeahnte Weisheiten – wenn wir sie erkennen wollen. 64
    Ein Beispiel. Tina lebt in einer zehnjährigen Partnerschaft mit Georges, den sie liebt und der sie liebt. »Himmel und Hölle« nennt sie das Zusammenleben. Der Himmel ist zauberhaft. Doch die Beziehung ist auch immer wieder schwierig, belastet und angespannt, zumal wenn sich Georges in einer schwierigen persönlichen oder beruflichen Situation befindet. Dann kämpft er gegen sie, findet sie dominant und kontrollierend – und kann sie nicht so sein lassen, wie sie ist. Tina erlebt sich über Jahre in dieser Himmel-und-Hölle-Situation. Sie hält es aus, weil es immer wieder Annäherungen, gute und friedliche Zeiten, bereichernde und liebevolle Augenblicke gibt. Und weil sie nicht noch einmal in ihrem Leben eine Beziehung beenden möchte. Sie erhofft sich nichts von einer neuen Beziehung. Aber sie wünscht sich zutiefst ein Beenden-Können der ständigen Missverständnisse und Kämpfe. Manchmal denkt sie, dass Georges unbewusst neidisch auf ihre Lebenslust und ihren beruflichen Erfolg ist.
    Tina strengt sich sehr an und tut, was sie kann. Sie übt sich in Gelassenheit, in klaren und ruhigen Worten, sie schreibt Georges verständnisvolle Briefe, wie sie meint. Sie versöhnt sich innerlich mit ihm, sendet ihm Licht und Wärme, versucht, selbst seinen Unmut zu lieben. Es kommt wenig Antwort. Aber er möchte mit ihr sein und möchte sie viel mehr bei sich haben. Tina glaubt zu wissen, dass seine latente und oft auch manifeste Feindseligkeit weniger mit ihr zu tun haben als mit wenig verarbeiteten Erlebnissen in seiner Kindheit, vor allem mit Vater und Mutter – demütigende, einengende Erlebnisse, die bei Georges in Situationen der Verunsicherung immer wieder aktualisiert werden. Wenn Tina ihn auf seinen rüden Tonfall ihr gegenüber anspricht, merkt sie, dass er sich dessen nicht bewusst ist und ärgerlich wird. »Darf ich überhaupt noch reden, wie ich will?«,hält er ihr dann entgegen. »Immer diese Dominanz und Kontrolle.«
    Tina ist am verzweifeln. Immer wieder versucht sie ihren Ärger Georges gegenüber aufzulösen. Als Georges schließlich noch die Psychotherapie abbricht, weil sein Therapeut genauso dominant sei wie Tina, da erkennt Tina: die Situation ist für sie ausweglos und hoffnungslos. Sie kann da nichts mehr ausrichten, hat ihre Möglichkeiten ausgeschöpft, sie kann nur noch einfach da sein mit Georges, sich selbst lieb sein, gut geschützt gegen Angriffe, ruhend in sich selbst, gelassen und frei. Sie will diese Beziehung nicht beenden. Aber sie erkennt auch klar, dass Georges immer wieder in seinen eigenen Verstrickungen und Widersprüchen gefangen ist, die er ihr als der liebsten und nächsten Person aufbürdet. Kürzlich hat er sie wieder beim Namen seiner vorigen Frau genannt. Seine verletzten kindlichen und späteren Anteile hat er selbst zu bearbeiten, sie sollen nicht in der Liebesbeziehung zwischen Georges und ihr ausgelebt werden.
    Diese Einsichten und vor allem die Erkenntnis der Ausweglosigkeit ihrer steten Anstrengungen und Bemühungen bringen Tina eine gewisse Entspannung. Und der Beziehung ebenfalls. Mit ihren immer wieder negativen Gefühlen muss Tina einen guten Umgang finden. Es macht sie froh, dass sie aus dem Muster der großen Anstrengung ausgestiegen ist. Sie will keine fruchtlosen Diskussionen mehr führen, sich nicht mehr so abmühen und wehren. Sie beendet das ewige Hoffen auf Besserung und den langen Kampf gegen Verletzungen. Ihr Gedanke: Sie ist unten am existentiellen »Bassinboden« angelangt und stößt sich ab. Aufwärts. Ein gutes Gefühl. Und diesmal, beim hundertsten Versuch, könnte es ihr gelingen, frei zu sein und zu bleiben und damit aus dem Unglück ein gutes Stück herauszukommen. Seit sie sich am Bassinboden abgestoßen hat, geht es ihr besser. Als dann wieder eine Attacke von Georges auf sie zukommt, erkennt sie, dass es nichts mit ihr zu
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