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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
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Dickens’sche Geister der vergangenen Weihnacht, kurz davor, zum Leben zu erwachen. Im Haus brannte Licht. Ohne lang nachzudenken, betätigte ich die Türklingel.
    Die Überraschung im Gesicht von Toms Vater war diesmal größer als die Wut. Er war schmal geworden, schmal und weiß. Er hatte viel von dem drahtigen grauen Haar auf seinem Kopf eingebüßt, dafür wuchsen noch einige etwas verloren aussehende Büschel auf Wangen, Hals und Kinn.
    »Was ist?«, fuhr es mir entgegen. Den zornigen Ton wenigstens hatte er noch.
    »Ich bin ein Freund von Tom«, sagte ich. »Ich wollte wissen, wie es Ihnen geht.«
    Zusammengekniffene Augen, basses Erstaunen.
    »Sie hatten doch eine schwere Operation. Haben Sie sie gut überstanden?«
    Ich glaube, dass er mich jetzt erkannte. Er öffnete die Augen wieder ein Stück.
    »Wer will das wissen? Tom?«
    Ich nickte.
    »Die Operation ist ja schon lang her«, sagte er, ohne dass mir recht klar wurde, was er damit ausdrücken wollte. Er trat einen Schritt zur Seite und ließ mich ein. Dann standen wir im Flur bei der Garderobe.
    »Den halben Darm rausgeschnitten haben sie mir«, sagte er. »Und dann noch was von der Leber.«
    »Und jetzt geht es Ihnen besser?«
    »Besser?« Er lachte und klatschte mit der Hand auf seine geschwundene Leibesfülle. »Blutung in der Bauchhöhle, künstlicher Ausgang. Wer weiß, wozu’s gut war. Die Hälfte der Operierten kratzt trotzdem innerhalb von fünf Jahren ab.« Seine kleinen Augen fixierten mich. »Wissen’s, Tom hat sich nicht drum geschissen. Ein Anruf in der ganzen Zeit, bevor sie seine Maschine geholt haben.«
    »Tom ist sehr beschäftigt. Er hat in den USA gearbeitet.«
    Er lachte auf.
    »Er ist jetzt an einem richtigen Observatorium. Mit den berühmtesten Wissenschaftlern.«
    »So?«
    »Ja.«
    »Dann …«
    »Und das Observatorium ist jetzt leer?«, fragte ich.
    »Ja, ich denk es wird bald in sich zusammenfallen«, sagte er ohne Bedauern.
    »Kann ich es mir ansehen?«
    Er kniff wieder die Augen zusammen. Dann öffnete er eine Kellertür, nahm einen Schlüssel von der Wand und gab ihn mir wortlos. Ich verstand: Das Observatorium war ihm gleichgültig. Ich konnte dort tun, was ich wollte.
    Der Himmel war schon wieder dabei zuzuziehen, als ich die Treppe in dem kleinen dunklen Wäldchen erklomm. Links und rechts der Stufen war der Waldboden überfroren mit einer dünnen klirrenden Schicht, unter der es weich und glitschig wurde. Oben sah ich den Umriss des Observatoriums vor bewegtem Wolkengestöber. Aber als ich das letzte Stück Wiese erreichte, sah ich noch etwas anderes. Der kleine Turm wurde von hinten angeleuchtet. Drüben auf der nächsten Anhöhe stand ein neues Gebäude.
    Das Hotel war bemerkenswert hässlich geraten, einer dieser überdimensionierten Tagungs- und Wellnesstempel, die sich dem Baustil der Gegend annähern wollen und dadurch nur noch bizarrer aussehen. In diesem Fall war es eine Alpenfestung geworden. Die vielen kleinen Türmchen erinnerten mich an die Napola-Trutzburgen aus Nazifilmen. Jemand schien aber sehr stolz darauf zu sein, denn die Fassade war von allen Seiten beleuchtet.
    Ich betrachtete das fremde Ding mit fasziniertem Ekel und konnte nicht anders als weiterzugehen. Wie ein aus dem Dunkel herausgesogenes Insekt bewegte ich mich auf die Lichter zu, überquerte den Feldweg zwischen den beiden Anhöhen und näherte mich der grellen Fassade von der Rückseite. Dort wo Dutzende großer Karossen hätten stehen müssen, parkten nur zwei einsame Lieferwagen. Das Hotel konnte noch gar nicht eröffnet sein. Ich hüpfte über eine niedrige Hecke, ging zur Vorderseite und landete auf einer großzügigen Auffahrt. Auch hier war niemand zu sehen, aber die Eingangstüren standen weit offen. Auf der Schwelle sah ich mich verstohlen um. Eine unbesetzte Rezeption, beigelederne Sitzgruppen. Stimmen und gedämpfter Handwerkslärm vom Ende des Saals her. Fast wehrlos, immer noch angezogen von unsichtbaren Kräften, trieb ich zwischen all dem ungenutzten Luxus hindurch auf eine große Flügeltür zu, die sich wie von selbst öffnete, und ich stand in einem protzigen Festsaal mit Marmorsäulen und Kronleuchtern. Ein halbes Dutzend Handwerker in Blaumännern und Latzhosen war gerade dabei, letzte Hand anzulegen. Es wurde geklopft, gehämmert, gesägt, gebohrt. Kabel liefen quer durch den Saal. Niemand nahm Notiz von mir. In der Mitte wurde ein besonders großer Leuchter an einem Drahtseil von der Decke herabgelassen, einer der
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