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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
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ich an die Möglichkeit, alles zu leugnen. Aber es war zwecklos, spätestens das Porträt von Tom hätte mich verraten.
    »Ich wollte sie dir irgendwann zeigen«, log ich. In Wahrheit hatte ich nie vorgehabt, Constanze die Bilder zu zeigen. Von allen Urteilen fürchtete ich ihres am meisten. Wahrscheinlich, weil ich wusste, dass sie Recht haben würde, egal was sie sagte.
    »Komm«, sagte ich. »Wenn du sie schon siehst, dann richtig.«
    Ich schaltete alle Lichter an, eins nach dem anderen, dann reihte ich die bereits abgehängten Bilder an der Wandschräge auf, dort wo das meiste Licht hinfiel.
    Constanze studierte alle Bilder der Reihe nach: den Berg mit den roten Lichtern, Whistlers Vulkan, den bissigen Hund aus Winona, der uns mit hochgezogenen Lefzen bedrohte, Toms Observatorium in einem Rahmen aus deutschem Fichtenwald, das fahlgraue Glimmen des Ringnebels. Und schließlich Toms rotes Gesicht, das sich wie der Geist eines Gesichts aus dem finsteren Hintergrund schälte.
    »Wie gefallen sie dir?«, fragte ich endlich.
    »Das ist das beste«, sagte sie und zeigte auf Tom.
    »Warum gerade das?«, fragte ich.
    »Weil es geheimnisvoll ist.«
    »Wie gefallen dir die anderen?«
    Sie musterte die anderen Bilder noch einmal. Ich glaube, sie hatte ihr Urteil längst gefunden und war damit beschäftigt, die richtigen Worte zu finden.
    »Ich finde sie schön«, sagte sie.
    »Schön?« Das Wort klang eigenartig, wenn Constanze es sagte. Es schien überhaupt nicht zu ihrem Wortschatz zu gehören.
    »Die Bilder sind zusammen eine Geschichte. Wahrscheinlich bist du ein Erzähler, kein Künstler. Aber das ist ja egal.«
    »Also sind sie zu dekorativ?«
    »Nein, sie sind wirklich schön. Aber es fehlt doch was.«
    »Ich weiß, dass noch irgendwas fehlt«, sagte ich.
    »Sie sind technisch gut …«, sagte Constanze.
    »Jetzt sag bitte nicht, dass das Gefühl fehlt.«
    »Nein.« Sie betrachtete die Bilder noch einmal, eins nach dem anderen, und fällte ihr Urteil: »Der Schmerz fehlt.«
    Ich musste grinsen über ihren Satz, der mir so typisch weiblich vorkam. Für Frauen bedeutete Kunst immer Leiden.
    »Ich bin kein Experte für Schmerzen«, sagte ich bloß.
    »Aber da hast du ihn gesehen«, sagte sie und zeigte auf Toms Bild.
    Komet Eisenroth überraschte alle. Anders als die vielen widerspenstigen Exemplare seiner Gattung tat er nämlich genau das, was man von ihm erwartete und wurde stetig heller. Anfang November kreuzte er die Bahn des Mars und entwickelte eine fluoreszierende Koma. In der Mitte des Monats hatte er Magnitudo 5 erreicht, hell genug, um am Nachthimmel als winziger Punkt gesichtet zu werden. Wenn ich bei frühabendlicher Dunkelheit aus meinem Zimmer kam, schaute ich manchmal in seine Richtung, nach Norden. Er bewegte sich vom kleinen Wagen aus zur Sonne hin, nach Südwesten. Aber im Norden unseres Hauses verlief die Hauptstraße. Ich konnte den kleinen Wagen gar nicht sehen.
    Ende November kratzte der Komet an Magnitudo 4 und bekam einen Schweif. Das Internet brummte vor Sichtungen. Es war von einem gut erkennbaren Staubschweif die Rede, und ein Gasschweif deutete sich an. Man ging davon aus, dass seine Ankunft ein großes Ereignis werden würde. Die Tageszeitungen druckten optimistische Sternkarten ab, die allerdings nicht zu gebrauchen waren, da aus meinem weißgrauen Stadthimmel anhaltender Winterregen fiel. Trotzdem, es musste ja bald wieder aufklaren, und irgendwann drängte sich die Frage auf, wie ich das Ereignis begehen sollte.
    Am 20. November fiel mir endlich ein, was ich tun musste.
    Der junge Mond stand schon tief im Westen, als ich bei nasskalter Witterung in dem kleinen Gehölz auf der Südwestseite des Ammersees anlangte. Ich fuhr an der Einfahrt vorbei, in der ich ein Licht zu sehen glaubte, und parkte den Wagen einfach am Straßenrand unterhalb des Waldhügels. Mein ursprünglicher Plan war gewesen, direkt hinaufzugehen und zu sehen, ob sich Toms Schlüssel zum Observatorium immer noch in seinem Versteck unter dem Stein befand. Aber als ich querfeldein durch das glitschige Laub stapfte, bedrückte es mich plötzlich, hier herumzuschleichen wie ein Dieb im Dunkeln, also ging ich doch die Einfahrt hinunter, in das verschattete Tal, vorbei an dem kleinen Friedhof mit seinen krummen Eisenkreuzen, genau wie damals, als ich Tom zum ersten Mal besucht hatte. Die Gipsfiguren am Ende des Wegs begrüßten mich mit hohnstarren Gesichtern. Im bleichen Mondlicht sahen sie unheimlicher aus als je zuvor, wie
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