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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
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erreichten uns ein paar Zusagen weniger und dafür neue Meldungen über unbekannte Empfänger. Viele meiner Freunde studierten oder arbeiteten in großen deutschen Städten, einige hatte es ins Ausland verschlagen, und dann gab es noch diejenigen, die bislang in unserer gemütlichen Kleinstadt hängengeblieben waren. Zu dieser schrumpfenden Gruppe gehörte ich: Philipp Steimle, achtundzwanzig, ungelernte Arbeitskraft in der Logistikbranche.
    Ich schloss meine Augen und versuchte vergeblich, den Gedanken wiederzufinden, auf den ich mich hatte konzentrieren wollen. Die zwei großen Schaufelräder in den Flanken des Schiffs konnte man nicht sehen, nur hören und fühlen. Ein stetes, kraftvolles Zermahlen von Wasser, dazu das Zittern des Dieselmotors, das in den Füßen kribbelte, wenn man still dastand. Vom Oberdeck aus hörte ich außerdem ein heiseres Brüllen, das mit der Sommerbrise an- und abschwoll. Das war die Rockband, die gerade begonnen hatte, auf dem Achterdeck zu spielen. Auch Freunde von mir. Um der Fahrt einen Anschein von Extravaganz zu verleihen, hatte ich sie zu dem Auftritt überredet. Mein Eindruck war, dass diese Idee die Gäste und die heimischen Wasservögel in gleicher Weise verstörte. Die Perlhühner und Haubentaucher hatten sich bereits vor einer Weile in die Nähe des Ufers zurückgezogen, die Gäste drängten mit ihren Gläsern in den vorderen Bereich des Schiffs. Ich selbst begann inzwischen, an meinem Konzept zu zweifeln. In dem Wind, der von achtern herüberwehte, lag ein höhenlastiges Scheppern, asynchron und ohne Verbindung zu den Herzschlägen des Schiffsmotors, die ich beruhigend unter mir spürte. Je lauter die Band spielte, desto mehr bekämpften sich die beiden Takte, und dort wo ich jetzt stand, vermischten sie sich zu einem Holpern, das kein Mensch aushielt. Die Fahrt drohte jeglichen Rhythmus zu verlieren.
    Nur eine Möwe auf dem Blechdach neben mir ließ sich nicht beirren. Ein etwas abgerissenes Exemplar mit einem mageren Hals und dunklen Flecken hinter den Augen. Sie streckte mir die Schwanzfedern entgegen und schien mich gar nicht zu beachten. Ich nahm einen Pappdeckel mit einem halb gegessenen Stück Sandkuchen von einer Sitzbank, brach einen großen Krümel ab und warf ihn vor ihr auf das Dach. Das erregte nun ihre Aufmerksamkeit. Mit drei , vier, behänden Schritten war sie bei ihm und pickte ihn auf.
    Den zweiten Krümel warf ich weiter weg, er flog quer über das Blechdach. Die Möwe flatterte halb rennend, halb fliegend hinterher – wieder ein rasches Zucken des Halses, und der Krümel war weg. Hatte sie die Flugbahn gesehen oder verfügte sie über ein anderes Sinnesorgan, ein spezielles Möwenradar, das jedes Nahrungsstaubkorn sofort aufspürte? Ich brach einen noch winzigeren Krümel ab und ließ ihn rasch in die entgegengesetzte Richtung fliegen, er landete hinter ihren Schwanzfedern. Das konnte sie nicht gesehen haben. Doch – sie flatterte und pickte.
    Drüben auf dem Achterdeck entdeckte ich Vera, meine Freundin. Der Gedanke, auf den ich mich konzentrieren wollte, hatte mit ihr zu tun, das fiel mir jetzt wieder ein. Sie stand unter der weiß - blauen Markise inmitten einer Gruppe junger Männer – den ersten Firmengründern unseres Jahrgangs, nur eine kleine Klitsche in der Innenstadt, aber mit einem Eintrag ins Handelsregister, irgendeine Computersache, der Zweck (»3D-Visualisierungen«) war mir mehrfach erklärt worden, ohne dass ich ihn verstanden hatte. Vera trug ein ausgeschnittenes graues Top unter einer dieser knitternden weißen Retro-Windjacken, dazu einen knielangen blauen Rock, der mir sehr maritim vorkam. Ihr Lächeln wirkte im bunten Licht der Lampions etwas festgefroren. Wir hatten uns kurz gestritten, vorhin im Auto, wie immer wenn wir zu spät dran waren – kaum möglich, dass sie darüber noch nachdachte.
    Vera und ich waren eine Jugendliebe. Wir hatten uns schon während der Schule gekannt; meine alten Freunde waren deswegen auch ihre – zumindest hoffte ich das, sicher war ich mir da nicht mehr. Vera hatte ihre Kreise vergrößert, sie wohnte seit einigen Jahren in München, kaum eine Dreiviertelstunde auf der Autobahn entfernt. Wir sahen uns vor allem an Wochenenden, eine Beziehung mit Lücken. Immer wenn sich ihr Kleidungsstil, ihre Frisur, manchmal auch ihr Lieblingsgetränk veränderte, passierte es für mich mit einem Sprung, unangekündigt und rätselhaft, und vielleicht war das auch der Grund für meine plötzliche Idee, dass
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