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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
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gepasst hätte.
    »Sehen Sie, wir sind hier in der Großstadt«, sagte er.
    »Ach so«, erwiderte ich, ohne den Sinn seiner Worte zu verstehen.
    »Wir arbeiten hier unter schwierigsten Bedingungen. Wir sind ja froh, wenn wir überhaupt etwas sehen. Schauen Sie sich doch nur um.«
    Seiner Anweisung Folge leistend blickte ich mich um. Das Gebäude, auf dem wir standen, war durch einen quadratischen Innenhof und ein weiteres hohes Gebäude von der Hauptstraße getrennt, die Fassaden der Büros auf der anderen Seite wurden von violetten Scheinwerfern angestrahlt, deren Licht sich über die Dächer hinaus fortsetzte und den Himmel über uns bläulichlila einfärbte. In dem Hof musste sich irgendein Vergnügungsbetrieb befinden. Bis zu uns konnte man das Röhren von Motoren hören, das sich mit dumpfer Musik vermischte. Auch auf der anderen Seite des Dachs, hinter einer weißen Kuppel, die wohl ein größeres Teleskop beherbergte, lauerte das Vergnügen. Hier begann das eigentliche Nachtclubareal mit seinen Neonfassaden und flutlichtbeschienenen Parkplätzen. Von den Dächern der Großraumdiscotheken gingen Strahlenkränze zum Himmel, streiften über uns hinweg und schufen ein geisterhaftes Zwielicht, das weder Tag noch Nacht war. In der Ferne des westlichen Horizonts war das Abendrot inzwischen abgeklungen, auf den Wolken lag der schmutzig goldene Widerschein der Stadt.
    »Es ist diese ganze Gegend«, seufzte der Astronom. »Wenn man bei Nacht ein Buch lesen kann, wissen Sie, dann ist etwas verkehrt.«
    »Wieso sind Sie überhaupt hier?«, fragte ich.
    »Die Sternwarte war zuerst hier«, sprach er – jetzt auch mit dem Tonfall einer Gräfin. »Wo sollen wir denn hin? Aufs Land?«
    »Warum nicht?«
    »Na, weil wir eine städtische Sternwarte sind. Wissen Sie …«
    Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick war ein anschwellendes Tosen zu hören wie bei einer sich nähernden Welle. Wir konnten noch einen Blick tauschen, dann platzte auch schon mit viel Geschrei eine Masse von Kindern aus der Luke wie ein angreifender Insektenschwarm. Ein schnau fender Mann, der als Letzter und mit schweren Schritten die Wendeltreppe heraufgekommen war, rief: »He, ihr seid nicht allein hier!« Aber um uns herum tobte schon der Kampf. Einige der Schüler drängten sofort auf das Fernglas zu, während der Astronom versuchte, sich mit schrill quengelnder Stimme Gehör zu verschaffen: »Sehr gut, sehr gut, herzlich willkommen«, hörte ich ihn aus dem Pulk. »Niemand braucht zu drängeln. Wir gehen gleich alle rüber in die Kuppel. Wie viele von euch waren schon einmal in der Sternwarte?« Als Antwort gab es nur noch mehr Geschrei. Ein Knirps, der Kleinste der Gruppe mit einem leuchtend rotblonden Schopf, kämpfte sich durch die geschlossenen Reihen zu dem Fernglas durch, stellte sich auf die Zehenspitzen und begann sofort mit professionell konzentrierter Miene zu spähen. »Ich seh nix« , krähte er und war sofort wieder verschwunden. Nach und nach drängten sich andere Schüler zu dem Fernglas, stießen einander weg , und das Ritual wiederholte sich. Der brave Astronom kniff die Augen zusammen, als tauchte er durch einen Schwarm entgegenkommender Piranhas. »Wir gehen jetzt in die Kuppel« , rief er. »Wer will, soll mir bitte folgen.« Dann löste er sich aus dem Pulk , und die Schüler schubsten einander weiter umher. Einige folgten ihm in einer lärmenden Polonaise, andere hatten sich bereits abgesetzt und lungerten an den Rändern des Daches herum. Der Lehrer sammelte sie einzeln ein. Und schließlich war der ganze Spuk verflogen, so schnell wie er gekommen war.
    Ich war allein auf dem Dach. Die Erwachsenengruppe von vorhin hatte sich zerschlagen oder war geflohen. Neben mir stand einsam der Fernglaskasten und ließ den Kopf hängen. Als ich ihn ein wenig bewegte, lieferte er nur sanften Widerstand und blieb klaglos an der neuen Position stehen. Ich sah hindurch, aber da war diesmal gar nichts außer einer grauen Fläche. Vielleicht eine Wolke …
    Ich blinzelte und erschrak. Für einen winzigen Augenblick war das Bild sehr hell geworden. Als hätte jemand vor dem Fernglas mit einem glühenden Wattebausch gewedelt. Ich zuckte zurück und in meinem linken Auge pulsierten farbige Blumen.
    »Hey!« , hörte ich jemanden rufen. Eine Jungenstimme. Meinte er mich? »Hey«, rief er noch mal. »Hast du was gesucht?«
    Zaghaft öffnete ich mein rechtes Auge und versuchte , den Rufer zu orten. Die Stimme, meinte ich, war vom Rande des Dachs
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