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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
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es auch nicht.«
    »Aber du bist Amateur.«
    »Ich mag das Wort nicht so besonders. Wir sagen Beobachter.«
    »Ah.«
    »Ja …«
    Er beschleunigte wieder, diesmal auf geschätzte hundertfünfzig. Wir sprachen nicht sehr viel auf der Fahrt, das Röhren des Motors und das hohle Pfeifen des Windes machten eine anhaltende Konversation schwierig. Dennoch fand ich es nicht unangenehm, mich von einem Fremden durch die Nacht kutschieren zu lassen. In der kühlen Herbstluft nebeneinander zu sitzen, während Kuhweiden und einsame Bushaltestellen an uns vorbeiflogen, das reichte für den Moment. Über das Ziel unserer Fahrt hatte er noch kein Wort verloren. Ich ahnte nur, dass es auf dem Land lag, also da, wo ich gerade herkam. Sicher kam auch er aus irgendeinem Kaff, dachte ich. Die junge Landbevölkerung, man erkannte sie immer am Fahrstil. Ihr Glück, wenn sie ein Auto und kein Motorrad unter dem Hintern hatten.
    Bald schossen wir über die letzten Vororte hinaus und glitten über freie dunkle Landstraßen. Mit jedem Kilometer, den wir zwischen uns und die Stadt brachten, vermehrten sich die Sterne. Aber immer wenn ich auf die Straße achtete und ein Schild das helle Licht unserer Scheinwerfer zurückwarf, mussten sich meine Augen von neuem an die Dunkelheit gewöhnen. So experimentierte ich ein wenig herum, aber dann kam es mir vor, als würde Tom mich dabei beobachten, wie ich die Sterne beobachtete, was mir unangenehm war, und ich sah wieder nach vorne.
    »Und du bist also Zeichner?« , fragte er.
    »Ja, Illustrator.«
    »Was macht man als Illustrator?«
    »Man kauft Spezialradiergummi und wartet auf Telefonanrufe.«
    »Wieso wartet man auf Anrufe?«
    »Man zeichnet nicht einfach drauflos. Zuerst mal brauchst du einen Auftrag.«
    »Ach so.«
    Tom nickte, wirkte aber nicht überzeugt. In die kleine Pause hinein fragte ich ihn: »Und womit verdienst du dein Geld?«
    »Ich brauche nicht viel.«
    »Studierst du irgendwas oder so?«
    »Nein, ich hab’s auch nicht vor. Was ich brauche, weiß ich schon. Und studieren …« Er zögerte und schien zu überlegen: »Dann käme ich ja weniger zum Beobachten.«
    »Aber Beobachten ist kein Beruf, oder?«
    »Ich hatte schon ziemlich viele Jobs: Bootsverleiher. Kioskverkäufer. Ich hab sogar schon auf dem Feld gearbeitet. Und ich kann ja Teleskope bauen. Das bringt auch Geld.«
    »Also machst du eigentlich nichts richtig außer … beobachten.«
    »Nicht viel.«
    Meine Uhr zeigte kurz nach Mitternacht, als die Straße kurvenreicher wurde und leicht anzusteigen begann, was Tom nicht zum Bremsen , sondern zur Erforschung der Fliehkräfte im Grenzbereich veranlasste. Außerdem fragte er, ob ich etwas dagegen hätte, Radio zu hören. Sein Radio war ein altes Modell – mit einem beleuchteten Zeiger auf einer Skala. Niemand besaß mehr so ein Radio. Vielleicht war es schon in dem Auto gewesen, als er es gekauft hatte. Er ließ mich eine Weile an dem Gerät herumspielen, aber ich hörte nur dumpfe Stimmen und fremdartige Sender, der Empfang musste auf Mittel- oder Langwelle eingestellt sein. Ich drehte weiter , bis der Anfang eines alten Stücks erklang, das ich mochte. Ich glaube, es war Soul, so genau wusste ich das nicht, irgendeine Girlgroup . Eine Weile hörten wir beide schweigend den glockenhellen Stimmen zu, die gegen die brausende und pfeifende Luft ankämpften. Das graue Band der Straße in unserem Lichtkegel stieg immer noch leicht an. Sterne tauchten nun auch hinter den Hügelkuppen in unserer Windschutzscheibe auf. Es war eigenartig , wie gut die Musik zu dem Anblick passte. Wahrscheinlich stammte sie aus der Zeit der ersten bemannten Raumfahrt. Und Tom und ich rasten selbst mit Fluchtgeschwindigkeit den Sternen entgegen. Plötzlich merkte ich, wie ich von einer eigenartigen Hochstimmung und Dankbarkeit erfasst wurde. Die Musik in Verbindung mit der Geschwindigkeit in unserer kleinen Kapsel, die sich immer höher hinaufschraubte, beides versetze mich in einen Glückszustand, wie ich ihn lange nicht mehr empfunden hatte. Ich fühlte mich angenehm vage, so als wäre mein Körper in Auflösung begriffen, auf dem Weg von einem Zustand zum nächsten.
    Seit vielen Minuten waren wir nicht mehr durch ein Dorf gekommen. Die Lichtfinger unserer Scheinwerfer tasteten jenseits der Straße ins Leere, hier und da strichen sie über eine einsame Scheune. Wenn er so weiterfuhr, würden wir in Kürze in den Alpen ankommen. Aber er bremste bald abrupt. Wir bogen auf einen asphaltierten Forstweg
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