Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
Vom Netzwerk:
an meine Stelle zu treten. Aus dem Radio kam ein neues Lied, das etwas langsamer war und eine andere, bedächtigere Art von Hoppeln erforderte. Ich musste lachen, als ich die beiden sah, Claire, die dem Bäuerlichen einen Rest von Grazie abrang, und Tom, der etwas verzweifelt mal in die eine mal in die andere Richtung ausschlug, anstatt sich mit ihr zu bewegen. Es war ein Zweikampf, den keiner gewinnen konnte. Am Ende des Songs hatte sie ihn kleingekriegt. Tom ergab sich in den Rhythmus und ließ sich von ihr führen, indem er andächtig und stoisch über ihren Kopf hinwegblickte. Manchmal traf ihn ihr vergnügter Blick, dann lachten beide, und Tom konnte nicht anders als rasch wegzusehen.
    Auf dem Weg zum Flughafen saß Tom neben mir. Claire, allein im Fond des Wagens, zog uns abwechselnd auf. Es war plötzlich eine seltsame Vertrautheit zwischen den beiden. Als wir am Terminal ausstiegen, lief Claire zwischen uns und bedachte uns beide gleichzeitig mit Berührungen, und als es endlich so weit war und wir uns am Gate umarmten und Tom vor der Durchleuchtung mit Claire stehen blieb und die beiden mir gemeinsam immer wieder zuwinkten, fragte ich mich endgültig, ob er das Ganze so eingefädelt hatte. War es mir nicht gleich seltsam vorgekommen, dass er den ganzen Weg bis nach L.A. hatte fahren wollen?
    Ich hatte noch viel Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.
    Nach der Kontrolle ging ich auf in der typischen Langeweile der Flughäfen, in all dem Warten, Nachrichtenschauen, Gate-suchen, nochmals Warten, Zeitschriftenkaufen, Wasserkaufen, Irisches-Bier-Trinken und den vielen kleinen Kontrollen, bis hin zum letzten nochmaligen Vorzeigen der Bordkarte und des Reisepasses, all den Ritualen, die kluge Menschen erfunden hatten, um Übergange zu schaffen und uns zurück in die gleichförmigen Rhythmen des Alltags zu wiegen.
    Als die Maschine aufstieg und die orangefarbenen Lichter von LAX unter uns in dem großen Lichtermeer aufgingen, musste ich trotzdem wieder an Claire denken. Oder an Tom. Ich weiß es nicht mehr. Und als Los Angeles schließlich hinter uns zu einem gleißenden Streifen wurde und in die Nacht zurückfiel, spürte ich doch Trauer.
    Es kam mir vor, als ließe ich mit dem verschwindenden Gürtel aus Lichtern das Leben selbst für immer hinter mir und flöge einer unbekannten Schattenexistenz entgegen.

KAPITEL 11

    M ein Gefühl trog mich nicht. Bei meiner Ankunft verspürte ich die gleiche Ernüchterung wie ein Kinobesucher beim Verlassen des Saals – in jenem schrecklichen Moment, wenn man nicht fassen kann, dass die Welt all dem Erlebten zum Trotz unverrichteter Dinge ihren langweiligen Lauf geht. In Deutschland höhlte niemand einen Vulkan aus. Und niemand träumte von Pyramiden auf dem Mars. Stattdessen waren immer noch alle damit beschäftigt, Anträge bei der Bundesanstalt für Arbeit einzureichen oder über den Bahnvorstand zu schimpfen. Die Menschen sahen aus wie Schatten, und das lag nicht nur am fahlen mitteleuropäischen Licht.
    Anfangs nahm ich mir vor, irgendwie dagegen anzukämpfen, die letzten Monate als Lektion im Kopf zu behalten gegen die grassierende Trostlosigkeit und Schicksalsergebenheit in diesem seltsamen kleinen Land. Aber die Idee war wahrscheinlich ziemlich naiv. Sollte ich mich für immer dazu zwingen, im Widerspruch zu meinem Alltag zu leben? Besser war es, mich wieder in ihm zurechtzufinden.
    Ich fuhr morgens wieder mit dem Fahrrad am Hochufer und am Wehr entlang. Ich ging abends wieder ins »Mahagony«. Ich rief die alten Freunde wieder an. Sie hatten gar nicht mitbekommen, dass ich weggewesen war. Ich rief Ulrich Holstein an. Sein Vater hatte ein Projekt, über das er schon die ganze Zeit mit mir hatte reden wollen: ein illustriertes Buch über die Tiefsee.
    Ich fing an, abends auszugehen in München. Es war beschaulich wie immer, aber ich wollte es mir aufregend trinken, am besten mit anderen Leuten, die die gleiche Idee hatten. Schon beim ersten Versuch traf ich auf alte Bekannte. Constanze und Vera standen an einer langen Theke, flankiert von zwei jungen Männern, die ich nicht kannte. Ich erschrak, als ich begriff, dass die vier zusammengehörten. Sie bildeten einen fröhlichen kleinen Zirkel.
    Constanzes Begleiter war jung, vielleicht in Toms Gegend, aber im Vergleich zu ihm hatte Tom das Charisma eines wettergegerbten Abenteurers. Die babyblauen Augen, die unschuldige Stirn, die sorgsam geschnittenen und dann wieder in Unordnung gebrachten Rebellenhaare, alles an ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher