Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
Vom Netzwerk:
gesehen.
    »Da war ein interessanter Vogel«, sagte ich und blinzelte enttäuscht in Richtung der Sonne, wo er verschwunden war. Tom hatte mich gar nicht gehört. Er war zu weit vorausgegangen.
    Plötzlich glaubte ich, über mir einen Flügelschlag zu hören, und sah zu den Baumwipfeln auf.
    Kein roter, ein dunkelgrüner Vogel landete gerade in den Ästen einer Kiefer. Ich wollte Tom ein Signal geben, aber hätte ich gerufen, wäre der Vogel bestimmt aufgeflogen. Also nahm ich nur mein Fernglas und versuchte, ihn ins Visier zu bekommen. Durch das raschelnde trockene Gras pirschte ich näher an die Kiefer heran, so lange, bis ich mich genau unter ihm vermutete und einen Blick durch das Glas werfen konnte. Ich zuckte zusammen, denn über mir war ein tiefroter Fleck wie eine reife Tomate. Es war die Brust des Vogels, die derart leuchtete. Seine Kehle und sein Gefieder hatten einen edel schimmernden, phosphoreszierenden Grünton, und über die blutrote Brust lief ein weißes Band. Ich starrte ihn einige Sekunden mit einer kaum zu beschreibenden Verblüffung an, dann senkte er sein Haupt mit einem Zucken, als habe er etwas bemerkt, und flatterte davon.
    So kam es, dass ich mich eines Nachmittags auf der staubigen Kreuzung neben dem kleinen Straßenschild mit der Aufschrift »Comet trail« von Livingston verabschieden musste. Er war uns mit dem Beagle nachgekommen, Tom wollte mich mit dem Wagen nach Los Angeles bringen. Wir machten alle keine große Affäre daraus und besprachen lieber Reiserouten und Hotels, Terminals und Gates. All die Nebensächlichkeiten, über die man redet, wenn der Abschied näher rückt. Livingston fragte mich erneut, ob ich die von ihm ausgedruckten Flugpläne eingesteckt hätte (ich hatte sie zwei oder dreifach in der Reisetasche). Er versprach auch, dass er mir die wenigen größeren Skizzen und Zeichnungen, die nicht in meine Tasche passten, nachschicken würde, und wenn es das Letzte sei, was er tue. Ich schüttelte seine Hand und sagte ihm, dass ich eines Tages, sollten Geld und Zeit es erlauben, nichts lieber tun würde, als nach Portal zurückzukehren. Aber als ich es sagte, wusste ich, dass wir uns nicht mehr sehen würden.
    Er entließ mich mit einem halbherzigen Schulterklopfen, aus dem schließlich eine Umarmung wurde. Er patschte ein paar Mal mit der Hand gegen meinen Rücken und sagte mir, ich solle niemals zögern, mich bei ihm zu melden, wo auch immer ich sei. Dann war es so weit, und ich stieg zu Tom ins Auto. Als er den Motor startete und anfuhr, rief Livingston mir den Abschiedsgruß der Beobachter nach: »Clear Skies!«
    »Nervös?«, fragte mich Tom auf der Straße kurz vor dem Texas Canyon. Es war ein klarer Sommerabend, am Rand des Freeway reckten die Ocotillo-Bäume ihre Oktopusarme in den leeren blauen Himmel.
    »Geht so«, sagte ich. »Warum fragst du das?«
    »Es ist dein erstes offizielles Date mit einer Frau seit wir uns kennen.«
    Tom hatte Recht. Ich hatte Claire geschrieben, dass wir in L.A. sein würden, und für den nächsten Mittag noch ein Treffen vereinbart.
    Ich lachte zuerst, aber dann kam ich ins Nachdenken. »Wie lang kennen wir uns jetzt?«
    »Seit September … seit deiner Verlobung etwa.«
    »Mein Gott«, sagte ich, ohne auf den Spott einzugehen. Ich konnte nicht glauben, dass ich Tom noch nicht einmal ein Jahr kannte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.
    Wir fuhren schweigend weiter. Draußen rauschten Palo-Verde-Büsche vorbei. Ein impressionistisches Bild aus verwischten grünen Farbflecken.
    »Lädst du mich das nächste Mal ein?«, fragte er.
    »Na klar mach ich das.«
    Tom fuhr die ganze Nacht durch, und am Morgen roch ich den Pazifik. Danach fuhren wir noch eine Stunde westwärts durch Vororte. Claire hatte uns als Treffpunkt ein kleines Hotel in Silverlake empfohlen, das Tom für eine Nacht beziehen konnte. Mein Flieger würde zwar schon am Abend starten, aber Tom hatte noch einen weiteren Tag in L.A., um mit Koenig über seinen Visumantrag zu sprechen. Als wir pünktlich gegen elf eintrafen, fanden wir die Lobby und das Café leer vor. Wir fragten an der Rezeption nach Toms Zimmer und erfuhren, dass es noch nicht bezugsfertig war. Das Hotel sprach für Claires guten Geschmack. Es war eine angenehmes kleines Gebäude mit einem grünen Garten und hölzernen Fensterläden.
    Wir setzten uns in die tiefen roten Sessel der Lobby. Die wenigen anderen Gäste waren nicht älter als wir, es waren Studenten auf großer Fahrt und abgemagerte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher