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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie
Autoren: Ben Bova
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durchgerungen, ihn zu respektieren, und mit der
Zeit hörten auch die Witze, die sie über ihn rissen und das
Geflüster hinter seinem Rücken auf. Wahrscheinlich waren
sie nie in der Lage zu begreifen, daß ein Mann irischer
Abstammung Kanadier sein konnte. Für sie war er der Eirisch, der Ire, doch mit der Zeit nannten sie ihn den Architekten des
Kalifen, einen Suleiman unter den Baumeistern.
    »Aber wenn sie dich so gern haben«, sprach Denny zu den
sonnengeröteten Dachfirsten und den Turmspitzen jenseits des
Flusses, »wie kommt es dann, daß sie dir keinen Wagen zur
Heimfahrt dagelassen haben?«
    Doch die Leute hatten bald gemerkt, daß ihre Arbeit eine
solide, schöne Realität zu produzieren begann und hatten
darauf mit arabischem Stolz und Enthusiasmus reagiert.
    »Den Palast des Harun al Raschid neu erbauen?« hatte er
seinem Chef zu bedenken gegeben. »Aber kein Mensch weiß
doch, wie er ausgesehen hat.«
    »Das soll dich nicht stören, mein Sohn. Die
Eierköpfe von der Archäologie werden dich leiten, und es
wird eine Menge ›Experten‹ am Platze geben, die froh sein
werden, dir mit Hinweisen zu dienen.«
    »Geh, Russ, das ist verrückt…«
    »Nein, das ist Politik. Die Weltregierung möchte etwas
für die haschemitische Seite der arabischen Welt tun, ebenso wie
wir den Saudis helfen wollen. Ansonsten kriegen wir Schwierigkeiten
in der Wüste. Bagdad braucht eine Art kosmetischer Operation,
neuen Kapitalzufluß, eine neue Industrie.«
    »Dann laßt uns einen Industriekomplex für sie
errichten, ähnlich wie wir es in Dacca gemacht haben.«
    »Nicht jetzt. Sie müssen den Palast von Harun al Raschid
wieder erbauen, des Kalifen aus Tausendundeiner Nacht. Das ist der
Schlüssel, um ihre Industrie zu revitalisieren, genau nach den
Computer-Vorhersagen.«
    »Das soll heißen, daß Bagdad ebenfalls zu einem
glorifizierten Vergnügungspark umgebaut werden soll wie
Elsinore.«
    »Denny, Junge, mach das Projekt nicht madig. Es bringt die
Touristen ins Land und mehr Geschäft als eine industrielle
Entwicklung gleich welcher Art, mit der die Einheimischen nichts
anzufangen wissen. Mach’s gut, und der nächste Auftrag
fällt dir automatisch in den Schoß.«
    »Und was wäre das?«
    »Babylon. Die Hängenden Gärten und all der Zauber.
Wir werden die ganze antike Stadt wieder aufbauen, auf die gleiche
Weise, wie die Griechen ihre Akropolis neu erstehen
ließen.«
    Und Dennis McCormick lief das Wasser im Mund zusammen, so wie es
sein Boß erwartet hatte. Denny war bitter enttäuscht,
daß die griechische Regierung keine Fremden am
Akropolis-Projekt mitwirken ließ, obwohl die Weltregierung das
Projekt finanzierte.
    »Babylon«, wiederholte der Chef. »Neuerdings sind
die Iraker sehr stolz auf ihre Kulturgeschichte. Sie möchten den
Glanz vergangener Zeiten wiedererstehen sehen. Mach’s gut mit
dem Palast des Kalifen, und man wird sich darum reißen,
daß wir das Babylon-Projekt auf die Beine stellen.«
    Die Zahlen, die über Dennys Gerät flimmerten, wurden
automatisch über Satellit an das Hauptquartier der Weltregierung
in Messina übertragen. Wir werden hier bis zum Jahresende
fertig sein, dachte Denny. Dann kommt Babylon. Und nachher das
größte Projekt aller Zeiten: Troja.
    Er blickte auf den Palast zurück, den er gerade erbaute. Die
sinkende Sonne übergoß die neuen Mauern mit blutrotem
Licht. Denny hob den Arm über den Kopf und beobachtete die
langen Schatten seiner Finger, die bis zu den Füßen der
Mauer reichten.
    Er wandte sich um in Richtung Brücke und hin zum träge
dahinfließenden Tigris. Die Altstadt von Bagdad lag am anderen
Ufer. Durch die reglose, stickige Luft drang der hohe, langgezogene
Ruf des Muezzins, der die Gläubigen zum Abendgebet aufforderte
– verstärkt durch krächzende Lautsprecher. »Auf
ihr Gläubigen zum Gebet, auf ihr Gläubigen zum Gebet…
kommt her zum Hause des Lobes und der Ehre. Allah ist groß,
Allah ist allmächtig. Außer Allah gibt es keinen
Gott…«
    Die terrassenförmig gebauten Türme des Hotel
International ragten über die niedrigen, bunten
Ziegeldächer und Kuppeln der Altstadt. Dort warteten eine
Dusche, frische Kleidung und – das Beste von allem – einige
eisgekühlte Bierchen auf Denny.
    Der kürzeste Weg zum Hotel führte durch den Suq, durch diesen lauten, stinkenden, überfüllten,
wundervollen Bazar, der schon lange vor der Zeit Haruns al Raschid
den Mittelpunkt des Lebens von Bagdad bildete. Es war ein
gefährlicher Ort für Fremde, wo man
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