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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie
Autoren: Ben Bova
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leicht abhandenkommen
konnte und wo es noch leichter war, seine Brieftasche loszuwerden.
Doch Denny war hier schon oft durchgegangen und alle Welt
wußte, daß er selten mehr als ein paar Fils bei
sich trug.
    Dennoch, so mancher war bereits wegen ein paar Fils oder
auch weniger umgebracht worden.
    Unter den hochgewölbten Arkaden des Bazars war es
kühler. Selbst dort, wo der Weg nicht von Mauerwerk oder
farbigem Glas überdacht war, hielten alte Zeltplanen das
Tageslicht und die Hitze fern. Aber die schmutzigen Straßen
stanken nach Schweiß, Urin und tierischen Exkrementen.
    Doch der übliche Menschenauflauf schien jetzt dünner,
und es schien auch stiller zu sein.
    Es ist die Stunde des Gebets, sagte sich Denny. Und die
meisten Leute eilten heim zum Abendessen.
    Alle Läden waren wie gewöhnlich geöffnet. Diese
Läden waren immer offen. Die Kaufleute verzehrten ihre Mahlzeit,
wo sie gerade saßen, oder gingen kurz die Treppe hinauf, um von
ihren unsichtbar bleibenden Frauen versorgt zu werden. Denny ging die
schmale, gewundene Straße der Schmiede hinunter und paßte
seinen Schritt unbewußt dem klopfenden Rhythmus der Hämmer
an, deren ohrenbetäubendes Geklingel die Luft erzittern
ließ. Vor den Geschäften lagen die Waren auf der
Straße ausgebreitet. Riesige kupferne Kaffeekannen – die
zehn Liter fassenden Gum-Gums – beherrschten das
Bild.
    Auch die Bettler saßen an ihren gewohnten Plätzen, an
jeder Ecke, an jeder Wand, junge und alte Leute, die im
Straßenschmutz herumkrochen und deren nasaler Ruf nach Almosen
im Namen Allahs sich anhörte wie eine schlechte
Tonbandaufnahme.
    Kaum eine Leiche oder ein Aas in den Straßen, registrierte
Denny. Dies schien ein günstigerer Tag zu sein als üblich.
Auch die üblichen Kinderbanden waren nicht zu entdecken.
Gewöhnlich umschwärmten sie jeden Fremden in dem
unerschütterlichen Glauben, alle Fremden seien reich. Sie
bettelten um Zigaretten oder Münzen, boten sich als
Fremdenführer an, als Diener, als Beschützer, als
Strichjungen. Nun schienen sie alle wie vom Erdboden verschluckt.
    Denny hatte ein ungutes Gefühl – wie bei einer oft
frequentierten Brücke, bei der ein Pfeiler fehlt, eine
Diskrepanz, die man auf den ersten Blick nicht bewußt
wahrnimmt, wobei man aber irgendwie ahnt, daß etwas nicht
stimmt.
    An der Straßenecke der Obstverkäufer tanzte ein
Zigeunermädchen. An der gleichen Ecke befand sich die
unvermeidliche Teestube, eines von Dennys bevorzugten Lokalen. So
holte er sich einen Stuhl und setzte sich an einen Tisch vors
Haus.
    Das Mädchen war jung, kaum älter als fünfzehn, und
die weiblichen Formen, sofern es schon welche besaß, waren
unter dem wirbelnden Dischdascha gut versteckt. Das Gesicht
war unverschleiert und bemerkenswert hübsch, wie so oft bei den
Orientalinnen in diesem vorüberfliegenden Alter zwischen Kind
und Frau.
    Es drehte und wand sich, tanzte barfüßig auf der
schmutzigen Straße zum Klang einer einsamen Holzflöte, die
ein Junge blies, ein milchbärtiger Bursche, der eher jünger
war als das Mädchen und der sich im Schneidersitz gegen die Wand
der Teestube lehnte. Auf der anderen Straßenseite standen ein
paar Männer und schauten zu. Außer Denny saß niemand
an den Tischen vor dem Haus.
    »Der Baumeister des Kalifen!« sagte der rauhbärtige
alte Mann, der die Teestube führte. »Was darf ich Ihnen
heute bringen?« Bereits vor Monaten hatte er sich entschlossen,
mit Denny radebrechend Englisch zu reden, weil dessen Arabisch
für geübte Ohren eine Qual war.
    »Bier«, sagte Denny, obwohl er wußte, daß es
hoffnungslos war.
    »Och, Allah«, sagte der Besitzer, der nun seine Rolle in
ihrem üblichen Spiel übernahm. »Allah hat in seiner
Weisheit den zivilisierten Menschen vor Trunksucht bewahrt.«
    Denny lächelte, ohne seinen Blick von dem tanzenden
Mädchen zu wenden. »Tja, aber ich bin nun mal kein
zivilisierter Mensch. Ich bin ein Barbar aus einem fernen, finsteren
nordischen Land, wo die Kälte den Menschen dazu zwingt,
alkoholische Getränke zu sich zu nehmen.«
    »Haben Sie demnach ein schweres Leben?«
    »Ich muß mich gelegentlich beklagen. Doch sage mir, ist
es wahr, daß der Koran den Kindern des Islam verbietet, den
Saft der Weinrebe zu trinken?«
    »Ganz entschieden.« Auch der alte Mann betrachtete das
tanzende Mädchen, doch sein runzliges Gesicht zeigte keine
Erregung.
    »Doch das Bier, mein Freund, wird nicht aus Trauben gemacht.
Dürfte dann ein Barbar – oder selbst ein
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