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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie
Autoren: Ben Bova
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zivilisierter
Mensch – seine Vorzüge nicht genießen?«
    Der alte Mann blickte auf Denny hinab und grinste. Seine
Zähne waren vom Tee belegt und vom Zucker zerstört.
»Ich will sehen, was sich machen läßt.« Und er
enteilte in seinen Laden.
    Da Denny wußte, daß dieses ›was sich machen
läßt‹ sich als ein Glas gesüßter Tee
entpuppen würde, folgte er dem Besitzer mit den Augen. Er sah,
daß mehrere Männer durch die dicht verhangenen Fenster des
Ladens lugten. Und er hatte das Gefühl, daß sie eher ihn
als das Mädchen beobachteten.
    Die Flöte setzte ihre Melodie fort, und das Mädchen
tanzte weiter. Sein Gesicht war schweißgebadet. Doch kein
Mensch warf auch nur eine Münze, und keiner der Zuschauer
schenkte ihm ein Lächeln.
    Der Wirt kehrte mit einem Kupfertablett zurück, auf dem eine
einsame Bierflasche stand, bereits geöffnet, nebst einem hohen
Glas, in dem gewöhnlich Tee serviert wurde.
    »Allah hat es für richtig gehalten, daß ich dir
ein Bier bringe«, sagte er, während er das Bier und das
Glas auf Dennys Tisch stellte.
    Denny war viel zu sehr überrascht, um zu fragen, wo das Bier
plötzlich herkam. Im Bazar gab es üblicherweise kein Bier,
zumindest war dies früher nicht der Fall gewesen.
    »Allah sei gelobt«, sagte er. »Und du
auch.«
    Der alte Mann verneigte sich leicht und zog sich dann in seinen
Laden zurück. Denny schenkte ein und kostete. Es war ein
ungekühltes, osteuropäisches Bier.
    Immerhin ist es Bier, dachte er dankbar und schluckte.
    Das Mädchen beendete seinen Tanz mit einem Wirbel und sank
dann in der typischen Pose einer Bettlerin auf die Knie. Die Araber
auf der anderen Straßenseite gingen einfach weg und
übersahen sie. Das Mädchen blickte auf den
Flötenspieler – vermutlich ihr jüngerer Bruder, dachte Denny – und sein Blick war traurig. Dann erhob es
sich langsam und strich eine schweißgetränkte Locke aus
der Stirn.
    »Komm her!« rief Denny ihm zu.
    Das Mädchen drehte sich zögernd um. Denny winkte ihm mit
dem Finger.
    »Komm her und setz dich!« Er klopfte auf den Stuhl neben
sich, falls die Kleine kein Englisch verstehen sollte.
    Sie trat an den Tisch Denny gegenüber und sah verwirrt, fast
ängstlich aus.
    »Sprichst du englisch?« fragte er und versuchte zu
lächeln, damit sie sich nicht vor ihm fürchtete.
    »Ja.«
    Es war die Stimme eines Kindes, dünn und unsicher. Ihr
Gesicht wäre noch hübscher gewesen, wenn es sauber gewesen
wäre. Große, dunkle Augen, lange Wimpern, volle, sinnliche
Lippen. Doch alles verklebt vom Straßendreck.
    »Setz dich. Du hast schwer gearbeitet. Möchtest du ein
Glas Tee?«
    Sie setzte sich auf den Stuhl neben Denny, nahe genug, daß
ihm ihr bitterer Körpergeruch in die Nase stieg. Ihr
jüngerer Bruder blieb mitten auf der verschmutzten Straße
sitzen.
    Der Alte tauchte wieder auf, und Denny bestellte Tee für das
Mädchen. »Hast du noch ein Bier?«
    »Ich will sehen.«
    »Und etwas für unsere Tänzerin zu essen –
vielleicht einen süßen Kuchen.«
    Das Mädchen lächelte nicht und bedankte sich auch in
keiner Weise für Tee und Kuchen, das er ihm anbot. Doch die
Augen der Kleinen wanderten dauernd zwischen Denny und ihrem
jüngeren Bruder hin und her.
    »Wie heißt du?«
    »Medina.«
    »Ist das dein Bruder? Er sieht dir ähnlich.«
    »Ja, er ist mein Bruder.«
    »Ich möchte dir etwas für deine Darbietung
schenken.« Er griff in seine Hosentasche.
    »Nein.« Ihre Augen weiteten sich. »Bitte!«
    »Es ist nur für deine Darbietung«, sagte Denny.
»Ich will nicht, daß du sonstwas für mich
tust.«
    Er holte eine zerknitterte Banknote aus der Tasche und legte sie
auf den Tisch.
    »Nein«, sagte sie und schaute immer noch erschrocken.
»Ich darf nicht. Das bringt nichts Gutes.«
    »Warum hast du dann getanzt? Wolltest du nicht, daß man
dir Geld gibt?«
    »Schon.«
    »Dann nimm das da.«
    »Das bringt nichts Gutes«, flüsterte sie mit
Entschiedenheit. Aber eher um sich selbst, als um jemand anderen
zu überzeugen, dachte Denny. Er sah, wie ihre magere Hand
mit den abgebrochenen, schmutzigen Fingernägeln auf die
zerknüllte Banknote zukroch, die auf dem Tisch lag, als
gehorchte sie ihrem eigenen Willen.
    »Warum soll das nichts Gutes bringen?« fragte Denny.
    »Da liegt der Tod drauf… auf Ihnen.«
    Er spürte, wie sich seine Augenbrauen hoben. »Der Tod?
Was meinst du damit?«
    Sie löste den Blick vom Geld und schaute ihm direkt in die
Augen. Sie könnte mit ihrer tiefen, dunklen Schönheit so
manches
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