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Die Knochenleserin

Die Knochenleserin

Titel: Die Knochenleserin
Autoren: Iris Johansen
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anders.«
    »Das hast du auch über das Schocktrauma gesagt, das du diesmal durchlebt hast. Ist das vielleicht noch eine Nachwirkung?«
    »Geh wieder ins Bett, Phillip.«
    »Nein.« Er lächelte. »Du wolltest mich nicht auf die Insel mitnehmen, aber ich will verdammt sein, wenn ich mich davon abhalten lasse, dir bei den Nachwirkungen zur Seite zu stehen. Du hast Angst, und wir werden darüber reden.«
    »Ich habe keine Angst. Okay, vielleicht ein bisschen. Aber es ergibt gar keinen Sinn. Das Stimmenhören war schrecklich, aber alles hätte noch viel schlimmer kommen können, wenn sich diese verdammte Pandora auch noch eingeschaltet hätte. Das ist zum Glück nicht passiert. Sie hat Eve nicht verletzt. Also gibt es eigentlich keinen Grund für mich zu –«
    »Was haben die Stimmen gesagt?«
    »Hören. Sehen. Öffnen.« Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Sie haben mich bedrängt. Ich wollte nicht reagieren, aber sie haben nicht aufgegeben. Ich habe mich dagegengestemmt, aber sie haben immer weiter gedrängt. Haben die denn nicht gemerkt, dass ich längst nicht mehr bei ihnen war?«
    Verwirrt zog er die Brauen zusammen. »Und wo warst du?«
    »Was?« Dann wurde ihr bewusst, was sie gesagt hatte. »Ich weiß nicht, wo ich war. Ich war einfach nicht … O mein Gott.«
    Phillip beugte sich vor. »Was ist los?«
    »Es ist passiert, als ich bewusstlos war.« Panik übermannte sie. »Als ich aufgewacht bin, hatte ich keine Erinnerung daran. Aber das ist auch der Grund, warum ich so schwer da wieder rausgekommen bin. Ich habe gekämpft, mich angestrengt, aber sie sind immer wieder auf mich eingestürmt.«
    »Die Kinder?«
    »Ja, die Kinder. Ich dachte, beim Zuhören geht es nur um das Hören von Echos. Vielleicht stimmt das. Aber diese Echos wollten regelrecht gehört werden. Doch sie haben mich nicht erreicht. Sie haben mich nicht dazu bringen können, mich zu öffnen und ihnen zuzuhören. Deshalb haben sie mich die ganze Zeit bedrängt.«
    »Es ist vorbei, Megan«, sagte Phillip sanft. »Und alles, was davon übrigbleibt, ist ein Alptraum. So etwas können wir gemeinsam durchstehen.«
    Er hatte recht. Wie recht er doch hatte.
    Nein, er hatte nicht recht.
    Herr im Himmel.
    »Du verstehst es nicht«, flüsterte sie. »Obwohl ich bewusstlos war, war ich völlig durcheinander. Habe ich gekämpft, habe um mein Leben und meinen Verstand gekämpft.«
    »Was sagst du da?«
    »Pandora. Übertragung. Vermutlich war ich im bewusstlosen Zustand emotionsgeladener als in manchen wachen Situationen. Du weißt doch, dass Emotionen immer der Schlüssel sind. Verdammt. Verdammt. Verdammt.« Sie sprang wieder aus dem Bett und nahm ihr Handy vom Nachttisch. »Ich muss Eve Duncan anrufen.«
    »Sie ist außer Gefahr, Megan. Nichts ist mit ihr passiert in der Zeit, als sie bei dir im Krankenhaus war. Keinerlei Anzeichen, dass verborgene Talente anfingen zu wirken.«
    »Wir wissen es aber nicht mit Sicherheit. Alle Regeln sind hinfällig, da ich in einem emotionalen Zustand war, als ich im Schock lag. Das dürfte eigentlich nicht passieren. Was weiß ich denn, wie viel von diesem Übertragungsmist ich ausgestrahlt habe, während ich bewusstlos war? Es könnte zwar weniger, aber doch durchgehend gewesen sein. Ob das vielleicht nur bewirkt, dass sich das verborgene Talent mit Verzögerung zeigt?«
    »Vielleicht führt es aber auch zu einer Abschwächung.«
    »So viel Glück habe ich nicht.« Sie suchte Eves Nummer im Verzeichnis. »Ich muss sie warnen.«
    »Es ist Mitternacht.«
    »Dann kann sie wenigstens aufbleiben und sich mit mir gemeinsam Sorgen machen.«
    Hören. Sehen. Öffnen.
    »Ich glaube immer noch, dass du dir unnötig Sorgen machst. Beruhige dich. Du wirst ihr nur Angst einjagen.«
    »Ja, das werde ich.« Sie wählte Eves Nummer. »Aber sie muss es wissen. Es war mein Fehler. Ich hätte es mir vorher denken können. Ich kann sie nicht blind da hineinlaufen lassen. Vielleicht kann sie ja …«
     
    Die Uhr auf Joes Nachttisch zeigte 5:20 Uhr an.
    Eve und Jane müssten eigentlich bald mit einer Tüte Donuts nach Hause kommen. Er könnte schon einmal eine Kanne Kaffee für sie vorbereiten. An Schlaf war ohnehin nicht mehr zu denken. Er wickelte sich aus der Bettdecke und zog sich den Morgenmantel über. Es war ein kühler Morgen, auch wenn es am Nachmittag selbst hier am See drückend heiß sein würde.
    Die Morgendämmerung hatte eingesetzt und tauchte den Flur in fahles Licht. Er schaltete die Kaffeemaschine ein und stellte
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