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Die Knochenleserin

Die Knochenleserin

Titel: Die Knochenleserin
Autoren: Iris Johansen
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bedrängen, bis ich es Ihnen sagen würde.«
    »Nein.«
    »Doch. Sie lieben sie, und Sie würden ihren Tod genauso miterleben wollen wie ihr Leben. Sollte jemand anders sie finden, werden sie es wahrscheinlich nie erfahren. Aber ich bin diejenige, die Sie zerstören könnte. Und das werde ich nicht tun.«
    »Sie irren sich, Megan«, erwiderte Eve unsicher. »Ich bin nicht so schwach.«
    »Nein, Sie sind stark, und ich bewundere Sie mehr als jeden anderen Menschen, den ich je kennengelernt habe. Aber Sie haben schon genug Alpträume gehabt, und ich werde denen keine weiteren hinzufügen.«
    »Ich würde Sie nicht bitten, mir –« Sie schloss die Augen, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Gott helfe mir, ich würde es tun. Ich würde einen Weg finden, Sie dazu zu bewegen, mir zu helfen. Tun Sie es nicht. Lassen Sie nicht zu, dass ich Ihnen Schmerz zufüge.«
    Plötzlich hielt Megan sie in den Armen. »Keine Sorge.« Sie wiegte sie sanft. »Es wird alles gut, Eve. Sie werden sie finden. Ich weiß, dass Sie sie finden werden.«
    Eve hob den Kopf und atmete bebend ein. »Ich weiß es auch. Vielleicht habe ich sie ja bereits gefunden.« Sie löste sich aus Megans Umarmung, richtete sich auf und rang sich ein Lächeln ab. »Aber es wäre nett, wenn das die hellseherische Vorhersage eines Mediums wäre.«
    Megan schüttelte den Kopf. »Nein.« Sie fasste zum Türöffner. »Es ist eine Vorhersage, die auf der Tatsache beruht, dass Sie stark und intelligent sind und dass das Leben niemandem auf ewig schlechte Karten zuteilt. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich an.« Sie öffnete die Tür. »Außer natürlich für den einen Fall.«
    »Megan.«
    Megan drehte sich zu ihr um.
    »Ich finde nicht die Worte, um meine Dankbarkeit auszudrücken.«
    »Dann suchen Sie nicht weiter.« Sie sprang aus dem SUV und lief durch den Regen zum Eingang.
    Eve sah ihr nach, bis sie im Hotel verschwunden war. Plötzlich fühlte sie sich einsam. Aber sie spürte immer noch Megans Wärme und Lebendigkeit. Diese Frau war der fürsorglichste Mensch, den Eve je kennengelernt hatte, und sie wollte nicht, dass sie einfach wieder aus ihrem Leben verschwand.
    Aber sie würde sich bemühen, die Distanz, die Megan brauchte, zu akzeptieren. Anfangs hatte sie Megan für einen rücksichtslosen Eindringling gehalten, aber nicht Megan, sondern Eve selbst war die Gefahr. In Wirklichkeit hatte Bonnie Eve vor sich selbst gewarnt. Megan war nur das Instrument gewesen.
    Die Frau mit der Büchse. Lass nicht zu, dass sie dir weh tut, Mama. Lass nicht zu, dass sie mir weh tut.
     
    Es goss wie aus Eimern, und die Polizisten hatten über die gesamte Lichtung behelfsmäßige Zeltplanen gespannt, die es ihnen erlaubten, sich auf dem Gelände einigermaßen geschützt zu bewegen.
    Von Grab zu Grab.
    Joes Stiefel waren vom Schlamm verdreckt, und er war völlig durchnässt trotz der gelben Regenkleidung, die man den Leuten, die die Leichen ausgruben, zur Verfügung gestellt hatte.
    Kleine Leichen. Bemitleidenswerte Leichen. Der Anblick schnürte ihm das Herz ab.
    Am liebsten hätte er Kistle noch einmal getötet.
    »Unfassbar.«
    Als Joe sich umdrehte, stand Montalvo hinter ihm. Er war bis auf die Haut durchnässt, der Regen tropfte ihm vom Gesicht, aber es schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Er hielt den Blick auf die Reihen der Überreste gerichtet, die schon exhumiert waren. »So viel Schmerz … ich beneide Eve. Ich wäre stolz darauf, die Welt von Kistle befreit zu haben.«
    »Ich ebenfalls.« Joe hatte dasselbe Gefühl. »Was tun Sie hier?«
    »Dasselbe wie Sie. Es ist ja noch nicht zu Ende. Wie viele Leichen sind schon gefunden worden?«
    »Zweiundzwanzig. Die Polizei geht davon aus, dass noch sechs weitere hier begraben sind.«
    »Und Bonnie?«
    »Ich weiß es nicht. Kistle hat Eve gesagt, dass Bonnie nicht hier liegt.« Er wandte sich ab. »Ich muss wieder an die Arbeit. Sie wollen das Gelände aufgeräumt haben, bevor sie die Presse auch nur in die Nähe lassen.«
    »Verständlich. Wo werden die Schaufeln und die Regenkleidung ausgegeben?«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Bonnie vielleicht gar nicht hier liegt.«
    »Aber es sind noch sechs andere Kinder, die hier vergraben sind.« Er sah Joe in die Augen. »Für die ist es auch noch nicht zu Ende. Lassen Sie uns mithelfen, sie nach Hause zu bringen.«
    Joe sagte eine Weile nichts, bevor er sich umdrehte. »Sie kriegen einen Poncho und eine Schaufel bei dem Officer auf der anderen Seite.«
     
    Joe
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