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Die Knochenleserin

Die Knochenleserin

Titel: Die Knochenleserin
Autoren: Iris Johansen
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Miguel ins Krankenhaus gefahren und bin anschließend hierhergekommen, um unsere Zelte abzubrechen. Ich hatte die Befürchtung, er würde es selbst tun wollen, wenn ich ihn mitbrächte.«
    »Stimmt, ja. Das Zeltlager hatte ich ganz vergessen. Es scheint schon lange her zu sein.«
    »Und ich wollte Sie treffen, bevor Joe, der siegreiche Held, wieder auf der Bühne erscheint.«
    Sie erstarrte. »Nein, Montalvo.«
    »Doch, Eve.« Er hielt ihr seine Hand entgegen. »Kommen Sie, setzen Sie sich. Sie haben versprochen, mir Ihre Zeit zu schenken.«
    Das stimmte, sie hatte es ihm versprochen. Auch das schien schon lange her zu sein. Langsam trat sie auf ihn zu. »Ich habe es mir immer noch nicht anders überlegt.« Sie setzte sich neben ihn auf die Schaukel. »Und ich werde es auch nicht tun.«
    »Vielleicht doch. Die Zeit vergeht, das Leben ändert sich. Aber ich bin nicht hier, um Sie zu überfahren. Es ist etwas geschehen, das das Bild ein wenig ändert.«
    »Und das wäre?«
    Er schaute zum See hinunter. »Quinn hat mich vor einem äußerst scheußlichen Tod bewahrt. Er hätte es nicht tun müssen. Und er wollte es weiß Gott nicht tun. Aber es bleibt die Tatsache, dass er es getan hat. Das bringt mich in eine Zwickmühle.«
    »Warum?«
    »Ich merke, dass es mir widerstrebt, ihm gegenüber so rücksichtslos zu sein, wie ich es normalerweise gewesen wäre.« Er verzog das Gesicht. »Miguel sagte mir, dass er sich um mich kümmern muss, weil ich seinen Hals gerettet habe. Ich habe ihn ausgelacht. Das ist absurd.«
    »Ist es das?«
    »Ja. Aber ich empfinde ein absurdes Gefühl der Verantwortung für Quinn. Ich würde nie auf die Idee kommen, mich als ehrenwerten Mann zu bezeichnen. Dennoch gibt es einen Kodex, nach dem ich lebe, und der kommt mir jetzt in die Quere.«
    Sie runzelte die Stirn. »Wovon reden Sie eigentlich, Montalvo?«
    »Ich rede davon, dass ich Sie fürs Erste loslassen muss.«
    »Sie hatten mich doch nie.«
    Er lächelte. »In meinem Kopf schon. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich es in die Wirklichkeit umgesetzt hätte.«
    »Blödsinn.«
    Er lachte in sich hinein. »Mir gefällt ihre Unverblümtheit.« Er nahm ihre Hand. »Nein, ziehen Sie sie nicht weg. Ich habe das verdient. Ich werde Ihnen jetzt sagen, wie es weitergehen wird. Ich kann Sie nicht ganz loslassen. Dafür stehen wir uns viel zu nah. Deshalb habe ich mich entschlossen, der beste Freund von Ihrem Joe zu werden.«
    Ihre Augen weiteten sich. »Wie bitte?«
    »Das wird nicht schwierig sein. Wir haben eine ganze Menge Dinge gemeinsam. Ich fange tatsächlich an, ihn zu mögen.«
    »Ich glaube aber nicht, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.«
    »Dann besteht eben darin meine neue Herausforderung. Ich werde Ihr Freund sein. Ich werde Joe Quinns Freund sein. Sie beide werden mich bewundern und sich auf mich verlassen können. Ist das nicht ein schöner Plan?«
    »Ein schönes Märchen«, entgegnete Eve trocken.
    »Und wie alle Märchen kann es ein paar vertrackte Wendungen nehmen«, sagte er leise. »Sollte ich irgendwann in die glückliche Lage kommen, Quinn ebenfalls das Leben zu retten, ändert sich die Situation wieder. Dann gibt es keinerlei Verpflichtungen mehr. Sollte sich herausstellen, dass er zu Gewalttätigkeit neigt und Sie verprügelt, werde ich ihn töten, und wir beiden reiten in den Sonnenuntergang. Einverstanden?«
    »Das ist Ihr Märchen, nicht meins.«
    »Aber es ist eins, das Sie glücklich machen wird.« Er wartete einen Moment ab. »Denn Sie wollen genauso wenig, dass ich aus Ihrem Leben verschwinde, wie ich es will. Manche Menschen sind füreinander bestimmt. Manchmal passieren Dinge oder etwas geht schief und ändert die natürliche Ordnung, aber dann müssen wir uns bemühen, die Ordnung wiederherzustellen.«
    »Ich gehöre zu Joe.«
    »Vielleicht. Aber ich wäre ein Narr, mich nicht in Stellung zu bringen, für den Fall, dass der Wind sich dreht.«
    Sie lehnte sich in der Schaukel zurück und betrachtete ihn. Seine dunklen Augen, seinen kraftvollen Körper. Er strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das für sich schon sinnlich war. Alles an ihm war reif, charismatisch und verführerisch und übte eine magnetische Anziehung auf sie aus, wie immer, wenn er in ihrer Nähe war. Verdammt, es war verboten und deshalb umso verlockender. »Es wird nicht funktionieren.«
    »Natürlich wird es das. Ich kann mich verwandeln wie ein Chamäleon und in einem halben Jahr werden Sie vergessen haben, dass ich jemals etwas anderes war als
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