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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe
Autoren: Roman Rausch
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Geschöpf unseres Herrn.»
    Kathi ahnte, was er damit meinte. «Ich wollte nicht …»
    «Schon gut.» Der Alte streichelte dem Vogel das Gefieder. «Jetzt wollen wir mal sehen, ob wir etwas zu essen finden für dich.» Er stand auf und ging mit ihm zu den Netzen zurück.
    Essen … Kathi hatte es fast vergessen. Ob der Alte auch etwas für sie hatte? Sie folgte ihm kurz entschlossen.
    «Habt Ihr die Wunde versorgt?», fragte Kathi.
    Er zuckte die Schultern. «Ich habe nichts, was Kolk helfen könnte. Dabei muss die Wunde dringend gereinigt werden. Sie hat sich entzündet.»
    «Vielleicht kann ich helfen.»
    «Womit könntest du diesem armen Geschöpf schon helfen?»
    Sie nahm das Töpfchen aus ihrer Tasche. «Damit.»
    Der Alte schaute misstrauisch. «Was ist das?»
    «Eine Heilsalbe. Selbst hergestellt.»
    Das klang nicht überzeugend. Er verzog das Gesicht. «Genug mit diesem Hexenzeug. Es hat schon mehr Menschen das Leben gekostet als gerettet.»
    «Vertraut mir, ich arbeite in der Apotheke. Es ist ein altes Rezept, das schon vielen geholfen hat.»
    Der Alte war unschlüssig. Schließlich befragte er den Raben. «Was meinst du, Kolk? Können wir der jungen Dame trauen?»
    Kolk schaute mit seinen schwarzen Augen auf das geheimnisvolle kleine Gefäß. Etwas darin schien ihn neugierig zu machen, und er pickte daran.
    «Das deute ich dann mal als ein Ja», sagte der Alte schmunzelnd. Und dann zu Kathi: «Kolk ist sehr klug. Er spürt, wer ihm Gutes tun und wer ihm übelwill.»
    Er setzte den Raben vorsichtig ab, sodass Kathi die Wunde versorgen konnte. Derweil griff er zu einem Bündel, öffnete es, und zum Vorschein kamen ein Ranken Brot, eine Handvoll gebratener kleiner Fische und ein Stück Käse.
    Kathi lief das Wasser im Mund zusammen. So viel Essen hatte sie seit Tagen nicht gesehen. Wie um alles in der Welt konnte sie es anstellen, dass der Alte ihr etwas davon abgab?
    «Mir scheint», sagte er nach einer Weile, «Kolk ist nicht der Einzige, der Hunger hat.»
    Er brach ein Stück Brot ab, nahm drei kleine Fische und ein Stückchen Käse und schob es Kathi zu.
    «Für mich?», fragte sie überrascht, aber auch erleichtert.
    Der Alte nickte, und Kathi glaubte in diesem Moment, ihn umarmen zu müssen.
    So aßen die drei zu Abend, und jeder hätte zufrieden sein können, wenn ihnen nicht ein Missgeschick unterlaufen wäre. Nachdem Kolk mit der Salbe behandelt und neu verbunden worden war, stieß er ein grässliches
Kraah
! aus, was vermutlich seine Art war, danke zu sagen. In diesem Moment donnerte es heftig, und die Wolken entließen ihre zerstörerische Fracht.
    Kathi packte rasch das Töpfchen ein und lief zurück in die Stadt.
    Als sie den Fischer passierte, der sich besorgt dem aufziehenden Wetter zugewandt hatte, rief er sie an:
    «Verfluchte Teufelsbrut. Müsst ihr euer Unheil schon am helllichten Tag verbreiten?»

[zur Inhaltsübersicht]
    2
    Der Hahn von Nachbar Wagner hatte noch nicht gekräht, da trat Helene an Kathis Nachtlager. Sie setzte sich vorsichtig zu ihr auf die Strohmatte und stellte die Kerze auf ein schmales Brett, das an der Wand angebracht war. Darauf befanden sich ein abgegriffener Katechismus, ein Kräuterbüchlein und ein Töpfchen, das gestern noch nicht da gestanden hatte.
    So wie es aussah, stammte es aus der Apotheke. Helene konnte nur hoffen, dass der Apotheker Grein davon wusste. Nicht auszudenken, wenn er sie wegen eines Diebstahls aus dem Haus werfen würde. Wo sollte sie dann mit ihr hin? Es war ausgeschlossen, Kathi mit zu sich in die Tuchmacherei zu nehmen. Helene konnte froh sein, wenn sie demnächst nicht selbst auf der Straße saß, es war nicht die Zeit für Stoffe.
    Sie hatte lange nach einer geeigneten Arbeit für ihre zarte Tochter gesucht. Erst die Fürsprache von Vikar Ludwig, Kathis Lehrer, und die Zugabe von fünfzig Kreuzern für Kost und Ausbildung hatten Apotheker Grein schließlich erweicht. Seit Kathi bei diesem strengen und gottesfürchtigen Mann arbeitete, hatte Helene Zuversicht geschöpft. Es würde alles noch ein gutes Ende nehmen. Heinrich hatte sie viel zu früh verlassen, zwei Jahre war das nun her. Noch immer fehlte jede Spur von ihm.
    Zu jener Zeit hatte sich ein versprengter Haufen Soldaten im Gramschatzer Wald herumgetrieben. Die hätten dem guten Heinrich den Garaus gemacht, sagten die Leute, und ihn dann in einer Grube verschwinden lassen. Die fünftausend Gulden, die Heinrich im Auftrag des Bischofs nach Bamberg hatte bringen sollen, blieben
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