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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe
Autoren: Roman Rausch
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Palisaden heulen sehen. Seitdem stand eine Belohnung von einem Gulden auf seinen Kopf, wenn man das närrische Vieh endlich zur Strecke brachte.
    Aus dem bischöflichen Schloss hatte man seit einigen Tagen überhaupt nichts mehr gehört. Die Bediensteten sagten, der Bischof lebe sehr zurückgezogen, sodass ihn nur sein Leibdiener zu Gesicht bekomme. Nachts suche er die kleine Kapelle im Burghof auf, um zu beten. Tagsüber verlasse er sein Bett überhaupt nicht mehr. Irgendetwas treibe ihn um. Man wisse nicht was, aber es müsse etwas Wichtiges sein, denn er schreibe wie im Fieber, ohne Unterlass.
    Der Hexenkommissar Faltermayer hatte die Handgreiflichkeiten überlebt. Ein Aufenthalt im Krankenhaus des Juliusspitals hatte die ärgsten Wunden versorgt. Dann, eines Nachts, war er bei einem Hofspaziergang verschwunden und erst nach ein paar Tagen wiederaufgetaucht. Sein Büttel habe ihn in der Nähe des geheimen Lagers in Begleitung eines Fremden gesehen. Die beiden handelten etwas aus, um sich danach per Handschlag für den nächsten Monat am selben Ort zu verabreden. Seitdem war Faltermayer in Stift Haug untergekommen. Der mächtige Dompropst hatte Mitleid mit dem einst ebenfalls so mächtigen Ankläger der Stadt.
    Dort lief er gelegentlich Pfarrer Ludwig über den Weg, dessen Traum von einer eigenen Kinderschule nicht in Erfüllung gegangen war. Der Fortgang so vieler Kinder aus seiner Gruppe hatte das Vertrauen des Propsts in seine Fähigkeiten erschüttert. Die Kindergemeinde hatte von einem Tag auf den anderen zu existieren aufgehört, und so war aus dem Pfarrer wieder ein Vikar geworden. Ludwig zürnte seinem Propst deswegen sehr. Er ließ keine Gelegenheit aus, Schlechtes über Neumünster in den Schenken zu verbreiten.
    Ganz hatte Ludwig die christliche Erziehung von Kindern jedoch nicht aufgegeben. Nachdem der angeklagte und dann freigelassene Vikar Franziskus in ein Kloster am Rande des Steigerwalds gebracht worden war, hatte Ludwig die vakante Stelle übernommen. Seitdem tanzte die Rute in seiner Hand wie in den schlechten alten Zeiten. «Du Sohn des Teufels, du bist voll List und Tücke und kämpfst gegen alles Gute.» Die Kinder hatten ihr Leid daran.
     
    Auf dem schmalen Weinbergspfad kamen Barbara und Otto heraufgelaufen. Als Kathi sie sah, winkte sie ihnen zu.
    «Kommst du mit?», fragte Kathi Volkhardt.
    «Wohin?»
    «Ans Grab von Ursula. Ihr frische Blumen bringen.»
    «Ja, gern.»
    Die vier spazierten an den prächtig wachsenden Weinreben entlang, pflückten Blumen und lachten viel. Erst als sie an Ursulas Grab kamen, das neben dem Henriettes lag, wurden sie still. Die beiden stummen Zwillinge, Lene und Lotti, saßen in sich versunken am Grab ihrer Mutter. Nichts konnte sie mehr berühren, weder der traumhaft sonnige Tag noch die verständnisvollen und warmen Worte Kathis und ihrer Freunde.
    Nicht einmal die Genugtuung über den Tod ihres grausamen Vaters, der sich in dem nasskalten Loch vom Grünenbaum mit einem spitzen Stein die Adern geöffnet hatte, mochte sie ins Leben zurückholen.
    Irgendwann würde die Kraft des Schmerzes weichen, dachte Kathi, als sie ein gebücktes altes Weib im Wald erblickte. Diese winkte ihr zu und schien zu rufen:
    «Kommt, Kinder, der Honig ist süß und wird euch schmecken.»
     
    Das Krächzen Kolks zerschnitt die friedliche Ruhe des Waldes. Mit aufgeregtem Flügelschlag erhob er sich in die Luft. Zwischen den engstehenden Bäumen fand er keine Nahrung. Er musste anderswo jagen. Sein Feld war die Weite, dort wo sich seine Beute nicht so gut verstecken konnte.
    Auf dem Weg hinunter ins Tal folgte er einer Gruppe Sperlinge, die, wie aus dem Himmel kommend, an seiner Seite aufgetaucht waren. Sie flatterten aufgeregt und doch zielstrebig zum Stift Haug hinunter, dem Ort, an dem Ludwig und Faltermayer Aufnahme gefunden hatten.
    Während sich Kolk auf der Kirchturmspitze niederließ, beobachtete er die Sperlinge, die einem alten, gebückt gehenden Weib mit einem Korb in der Hand vorausflogen. Sie begleiteten die Hökerin geradewegs an die Pforte des Klosters, wo sie um ein Almosen bat.
    Es war Mittag, und die Kinder liefen aus dem Speisesaal in den Hof. Faltermayer folgte ihnen in die Sonne. Es wäre ein überwältigender Tag gewesen, voller Kraft und Zuversicht, hätte er beim Essen nicht die ganze Zeit Vikar Ludwig vor der Nase gehabt. Er konnte nicht sagen, warum, aber irgendwie machte er ihn und die Kinder aus seiner ehemaligen Gruppe für sein Los verantwortlich.
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