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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe
Autoren: Roman Rausch
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sich zur Beratung in die Ritter-Kapelle zurückgezogen.
    Nun traten sie aus dem Kirchenportal heraus auf den Platz. Die Menge verstummte. Während Faltermayer die Treppe zur Gerichtsschranne nahm und sich neben dem Malefizschreiber am Richtertisch niederließ, war für den Bischof ein eigener Bereich eingerichtet worden. Er befand sich nur wenige Meter abseits, ebenfalls erhöht und mit einem gepolsterten Stuhl und einem Tisch ausgestattet, auf dem Wein und Essen den Hunger und den Durst während der mehrstündigen Vollstreckung besänftigen sollten.
    «Hört, ihr Bürger aus Stadt und Land», rief der Malefizschreiber, «die ihr so zahlreich erschienen seid.» Er hatte auf Anweisung Faltermayers die alte, ausführliche Einleitung zur Anklageerhebung – die unter Dürr vernachlässigt worden war – vorzutragen. «Es ist Brandtag, und wir wollen heute Recht sprechen über so viel schändliche Hexenleute, welche uns die Ernte verdorben, Kinder getötet, Ehen vergiftet, das Seelenheil geraubt und noch viele unaussprechliche Schandtaten mehr begangen haben. Nach alter Sitte und Brauch wird dies Gericht über die Zauberer, Hexen und Unholde entscheiden, die das verschuldet haben – wegen ihres unentschuldbaren Abfalls von Gott und wegen ihrer verbotenen Gemeinschaft mit den höllischen Geistern, die wider die Majestät Gottes und wider die christliche Pflicht und den Glauben gerichtet ist. Die Hexenleute können daher keine Gnade erwarten, weder von Gott noch von unserem treusorgenden Landesvater, Bischof Philipp von Ehrenberg.»
    Bei so vielen guten Nachrichten brauste Jubel auf. Keine Gnade für niemand. Das war ganz nach dem Geschmack der Menge. Der Bischof erwiderte die Dankesrufe mit einem gütigen Kopfnicken.
    Kathi seufzte. Das bedeutete, dass vor den Hinrichtungen noch zahlreiche Bestrafungen angesetzt waren, und wenn sie den Henker und seine mitgebrachten Werkzeuge sah, stiegen Angst und Verzweiflung in ihr auf. Sie hatte die vergangenen Stunden damit verbracht, sich auf das Unausweichliche vorzubereiten. Als die Folterknechte sie abholten, glaubte sie, es sei ihr gelungen. Sie hatte sich auf einer dämmrigen, letzten Fahrt hinüber ins Himmelreich befunden. Nun aber begann ihr Herz schneller zu schlagen. Die Angst vor der Pein wuchs.
    «Vor dem ehrwürdigen Malefizgericht zu Würzburg ist erschienen», verkündete der Malefizschreiber und verlas die erste Anklageschrift, «des Schreiners Gehring älteste Tochter Magda. Sie hat in zwölf Fällen mit dem Teufel Unzucht getrieben, hat den Tod von fünfundzwanzig Kindern im Schmelztiegel verschuldet, hat dreizehnmal die heilige Monstranz entweiht …»
    Es folgte eine Litanei weiterer Verbrechen, die sie nach Kathis Erfahrung wohl erst in den Folterkellern begangen hatte. Zu verdammende Hexenkommissare, niederträchtige Folterknechte und ein verfluchter Bischof, der längst auf die Seite des Teufels gewechselt war, hatten diese Schandtaten erst ermöglicht. Sie spürte Panik in sich aufsteigen, als ein Körper an ihrer Seite zu Boden stürzte.
    Es war Ursula. Sie lag am Rande der Bühne und drohte hinabzufallen. Kathi humpelte auf sie zu, um sie festzuhalten. Ein Stadtknecht kam ihr zuvor.
    «Weg da», befahl er ihr und stieß sie nieder. Dann packte er die Kleine an ihren dünnen Armen.
    «Steh auf.»
    Doch Ursula reagierte nicht.
    «Steh auf, du Teufelsvieh!»
    Noch immer wollte sie der Anweisung des Stadtknechts nicht Folge leisten. Wie leblos hing sie an seinem Arm. Er schüttelte sie. «Hörst du nicht?»
    Kathi ahnte es als Erste. «Ursula? Was ist mit dir?»
    Wieder ging sie auf sie zu, streichelte ihr über den kahlrasierten Kopf. «Ursula, steh auf, bitte.»
    «Was ist mit ihr?», fragte Faltermayer erzürnt. Er konnte im Beisein des Bischofs keine Störungen gebrauchen.
    «Ich glaube, die kleine Hexe ist tot», antwortete der Stadtknecht.
    Als Kathi diese Worte hörte, spürte sie einen Stich in ihrem Herzen. «Nein, das kann nicht sein.»
    Doch der Stadtknecht ließ keinen Zweifel daran. An einem Arm hob er sie hoch und schüttelte sie noch einmal. «Seht Ihr? Tot, wie eine Ratte nur sein kann.»
    «Lass sie los!», schrie Kathi ihn an und trat ihn.
    «Verdammtes Hexenvieh», brüllte der Stadtknecht. Ein Schlag beförderte sie quer über die Holzplanken.
    «Schaff sie mir aus den Augen», sagte Faltermayer.
    Der Stadtknecht reichte den toten Körper einem anderen, der ihn auf den Karren warf.
    Faltermayer gab dem Malefizschreiber Zeichen
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