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Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger
Autoren: Kristina Dunker
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    Als ich aus dem Laden komme, kann ich weder mein Fahrrad noch meinen geliebten Hund sehen. Dort, wo ich beide vermute, stehen jetzt ein Lastwagen und ein paar junge Männer.
    Ich sehe mich für einen Moment mit den rot geränderten Augen der Verkäuferin des Kiosk-Bistros. Ihr fetter, verschwitzter Körper in dem lächerlichen weißen Kittelchen steht direkt hinter der Scheibe. Ich wette, sie presst ihre großporige Nase gegen das Glas, um alles mitzubekommen.
    Auf der einen Seite die Männer. Sechs. Ein LK W-Fahrer , der sich aus dem Fenster beugt und die Stereoanlage seines Was-weiß-ich-wie-viel-Tonners mal eben Vollgas geben lässt, und fünf tätowierte Muskelprotze, die aus irgendwelchen Gründen alle die Münder ein bisschen offen stehen haben.
    Auf der anderen Seite ich. Kurven, viel zu viel Oberweite, nicht viel mehr als eine abgeschnitteneJeans und ein enges Top am Leib, dessen linker Spaghettiträger sich gerade daranmacht, von der Schulter auf den Oberarm zu rutschen.
    Sie weiß so gut wie ich, dass ich keine Chance habe, ihn wieder hinaufzustreifen. Ich brauche beide Arme, um die zwei schweren Tüten nicht fallen zu lassen, reißfreudige Plastiktüten gefüllt mit Fusel, Sekt, Wodka und anderen Getränken, die man mit sechzehn noch gar nicht kaufen darf.
    Kittelchen hinter der Scheibe hat das nicht gestört und es brächte sie auch nicht um den Schlaf, wenn mich die Kerle in den Laster schubsen und die Autobahnauffahrt hinaufbrausen würden. Sie würde ja nichts machen können. Sie keucht schon, wenn sie ein paar Meter zu Fuß gehen muss. Außerdem, dieses Mädchen da auf dem Parkplatz, die ist auch nicht ohne. Warum geht die schließlich direkt auf die Gruppe zu, schwingt die Hüften und singt sogar das Lied mit, das aus dem Autoradio dringt? Die weiß doch genau, wie sie aussieht. Die … hat die nicht gesagt, sie sei achtzehn?
    Habe ich nicht. Kittelchen hat schlicht nicht gefragt. Ich gehe weiter und fühle bei jedem Schritt, wie die Musik lauter wird. Mein Körper im Rhythmus mit der Musik. Ich kenne das Lied. Muss ich Angst haben? Wovor?
    Sorgen mache ich mir in erster Linie um meinen Hund. Im Zentrum des Lärms zu stehen, muss eine Qual für seine empfindlichen Ohren sein.
    Einer der zukünftigen Türsteher sagt nun etwas zu seinem Kollegen und weist auf meinen Körper,nicht auf mich, das ist ein Unterschied. Jetzt, denk ich, jetzt denkt Kittelchen: Gleich passiert was. Fernsehkrimis fangen so an. Kittelchen greift vielleicht nach ihrem Handy, um gegebenenfalls ein paar Fotos zu machen. Weiß man ja nie, vielleicht kriegt man noch Geld dafür oder wird ein bisschen berühmt.
    Wäre ich Regisseurin dieses Films, würde ich die Szene ganz anders fortsetzen. Die Kleine bliebe stehen und sagte zu dem einen: »Was hast du über mich gesagt?«
    Muskelmann wiederholt’s; man sähe, sie gefällt ihm – was man in gewissen Kreisen so unter »gefallen« versteht. Da wirft ihm die Kleine den ganzen verdammten Alkohol entgegen, es kracht und splittert und spritzt und was macht sie? Ganz cool greift sie sich rückwärtig in den Hosenbund, holt eine Knarre raus und knallt den Typen ab, der es gewagt hat, sexistische Kommentare über ihre Figur zu machen. Zeng, sie pustet ihn einfach um.
    Das wär’s. Aber Kittelchen und ich wissen beide, dass ich keine Waffe habe, nirgendwo. In der Jeanstasche steckt nur das riesengroße, völlig unpraktische himbeerrote Portemonnaie von meiner Mama und darin sind 3,50 Euro und die achtundzwanzig Schnipsel eines Fotos, das den nettesten Jungen der Welt zeigt, der dummerweise beschlossen hat, ausgerechnet zu mir nicht mehr nett zu sein. Warum sollen diese Jungs hier freundlich sein?
    Wieso bin ich überhaupt auf sie zustolziert, als wollte ich sie anmachen? Weil die Leute sagen, dasses mit mir immer Ärger gibt und ich diesem Urteil gerecht werden will?
    Ich habe die Männer erreicht. Keiner sagt ein Wort.
    Celtic-Ornament-Oberarm hat ein schwules Deo; Totenschädelbrust ein spöttisches Grinsen auf den Lippen, aber leider nicht bedacht, dass ein Totenschädel-Tattoo auf einer behaarten Brust ziemlich bescheuert aussieht. Beide schwitzen.
    Ich schwitze auch. Widerlich, wie einer der Tropfen langsam meine Wirbelsäule herunterläuft, aber wirklich langsam, Wirbel für Wirbel, so als wolle er durchzählen, ob sie noch alle da sind.
    Zeitlupe, Blicke, Atemzüge.
    Plötzlich platzt der Verkehrshinweis aus dem Radio, zerschneidet Musik und Gedanken. Auf der Autobahn laufe ein
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