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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe
Autoren: Roman Rausch
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fortzufahren.
    «So ist Magda Gehring auf das Rad zu binden. Die Gebeine sind ihr zu brechen. Danach soll sie auf dem Scheiterhaufen vom Leben zum Tod gebracht werden. So hat es das Malefizgericht zu Würzburg entschieden.»
    Er blickte zu Faltermayer, dessen Aufgabe es war, den Gerichtsstab zu brechen und dem Henker Befehl zu erteilen, den ersten Teil des Urteils zu vollstrecken.
    Im Gegensatz zu Dürr machte Faltermayer bei der symbolischen Stabbrechung wenig Aufhebens. Er hielt ihn kurz hoch, brach ihn für alle sichtbar und warf ihn dann in eine Ecke.
    «Nun, Henker, walte deines Amtes. Und beeil dich, wir haben nicht ewig Zeit. Der Bischof will zum Zwölf-Uhr-Läuten wieder in seinem Schloss sein.»
    Die unmittelbare Nähe des Bischofs veranlasste den übernächtigten Henker und seine Gehilfen, schneller als sonst zu arbeiten. Sie packten Magda, die sich ohne Gegenwehr auf ein großes Wagenrad binden ließ. An Händen und Füßen gefesselt, lag sie rücklings darauf und starrte in den Himmel. Ein Gehilfe griff zu einer Eisenstange, hob sie hoch und zielte auf ihre Beine. Als das Eisen niedersauste und die Knochen brachen, heulte die Menge auf.
    «Mehr! Mehr! Schlag die Hexe tot.»
    Durch das laute Geschrei erwachte Kathi aus ihrem Dämmerzustand. Sie blickte sich benommen um.
    Alles, was sie in diesem Moment sah, war der Stadtknecht, der mit einer Eisenstange auf jemanden einschlug. Ursula?
    «Aufhören!», schrie sie. «Um Himmels willen, sie ist doch noch ein Kind.»
    Nun wurde es Faltermayer zu dumm. Konnten diese ungelenken Stadtknechte nicht einmal ein Kind beherrschen? Er packte Kathi am Kragen.
    «Haltet ein!», rief jemand laut und unüberhörbar. «Im Namen des Kaisers, ich befehle Euch, dem Kind kein Leid anzutun.»
    Ein Mann in einem schwarzen Umhang kam die Treppe zur Bühne herauf. In der Hand hielt er ein Schriftstück. Er eilte an Faltermayer vorbei an den vorderen Rand, damit er von allen gesehen werden konnte.
    «Auf Erlass des kaiserlichen Reichskammergerichts zu Speyer untersage ich diese Hinrichtung.»
    Er öffnete die Schriftrolle. Darauf war ein Siegel zu sehen. Er zeigte es dem Bischof und der Menge.
    Faltermayer ließ von Kathi ab. «Wer seid Ihr?»
    Der Mann nahm seinen schwarzen Hut ab, der ihm in der Nacht zuvor schon ermöglicht hatte, unerkannt die Stadttore zu passieren.
    «Ich bin Meister Dürr. Ihr kennt mich alle.»
    Ein Raunen ging durch die Menge. Dürr war der Letzte, mit dem sie gerechnet hatten. Jeder wähnte ihn jenseits der Landesgrenzen, wo er und seine hexerische Mutter mit dem Teufel paktierten. Doch jetzt war er zurückgekommen. Was für eine Dreistigkeit.
    Faltermayer und der Bischof waren nicht weniger überrascht. Sie hatten geglaubt, sich Dürr vom Halse geschafft zu haben, und nun tauchte dieser Verrückte wieder auf.
    «Mit Unterschrift des Kammerrichters und testiert mit dem kaiserlichen Siegel», trug Dürr unbeirrt vor, «sind alle Prozesse gegen Hexenleute bis auf Weiteres einzustellen. Eine Kommission wird sich mit den Vorfällen in Würzburg befassen und darüber entscheiden, ob die Verfahren rechtmäßig sind. Bis dahin ist niemandem – bei kaiserlichem Verbot – gestattet, ein Verfahren zu beginnen, fortzuführen oder mittels Urteil zu beschließen.»
    «Redet keinen Unsinn!», herrschte Faltermayer ihn an.
    Er riss Dürr das Schreiben aus der Hand und las es. Wort für Wort, Zeile für Zeile zeigte es, dass Dürr die Wahrheit gesprochen hatte. Entgeistert blickte Faltermayer hinüber zu seinem Bischof. Der war von der kaiserlichen Nachricht jedoch weniger beeindruckt. Ein kurzer Wink wies Faltermayer an, ihm das Schreiben zu bringen.
    Wer gedacht hatte, der Bischof würde nun wegen der Maßregelung durch das höchste Gericht im Reich in tiefe Gram fallen, sah sich getäuscht. Das Reichskammergericht zu Speyer, das im Auftrag des Kaisers Streitigkeiten im Land schlichtete und von jedem Untertan angerufen wurde, der sich unrechtmäßig behandelt fühlte, hatte für viele Landesfürsten kaum Bedeutung. Die Kaiserstadt Wien war weit, und die Aufmerksamkeit des Herrschers gehörte in diesen Tagen dem Krieg. Er brauchte die Gefolgschaft und Unterstützung jedes einzelnen Landesfürsten.
    Der Bischof warf einen kurzen Blick auf die Unterschrift und das Siegel. Ein Lächeln flog über seine Lippen.
    «Ich bin der Kaiser in meinem Land.»
    Dann zerriss er die Urkunde vor aller Augen.
    Erstaunen erfasste die Umstehenden. Auch die vorderen Reihen wollten ihren
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