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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe
Autoren: Roman Rausch
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Körper nichts mitbekommen. Sie sah ihre Tochter nur morgens und beim Zubettgehen, und da war sie zu müde, um Veränderungen überhaupt zu bemerken. Diese Nachlässigkeit wurde ihr nun schmerzhaft vor Augen geführt.
    «Erst gestern Abend habe ich gegessen», antwortete Kathi.
    Um Fassung bemüht, nahm Helene die Hände der Tochter in ihre eigenen und kniete sich vor Kathi hin. Sie streifte ihr die braunen Haare aus dem Gesicht. Auge in Auge, von Mutter zu Tochter, wollte sie die Wahrheit erfahren.
    «Kind, hab keine Angst. Sag mir: Bekommst du bei Meister Grein genügend zu essen? Du weißt, du hast ein Anrecht darauf. Ich zahle dafür.»
    Kathi zögerte mit der Antwort. «Macht Euch keine Sorgen, Mutter. Der Apotheker meint es gut mit mir. Ich lerne viel, und er gibt sich mit meiner gottesfürchtigen Erziehung Mühe.» Sie zeigte auf die Striemen an ihrem Körper. «Diese Male erhielt ich zu Recht, da ich einen Fehler begangen habe und mit den Gaben der Natur zu sorglos umgegangen bin. Sie werden mich erinnern, zukünftig mehr achtzugeben, um weder Euch noch dem Apotheker Sorgen zu bereiten.»
    Helene hörte ihrer Tochter erstaunt zu. Konnte sie glauben, was sie da erzählte? Bisher hatte sie es immer zu unterscheiden vermocht, ob Kathi log oder die Wahrheit sprach. Ihr wortloser Blick zur Seite hatte sie stets überführt. Aber jetzt?
    Das Kind aß nichts, und das schon seit langem. So viel war klar. War sie krank, oder hatte jemand einen Fluch gegen sie ausgesprochen? In diesen Zeiten der Not und des Hexenzaubers war alles vorstellbar.
    Sie würde mit Vikar Ludwig sprechen. Er wusste immer Rat. Oder sollte sie gleich ihre alte Amme Babette hinzuziehen? Sie hatte geholfen, Kathi zur Welt zu bringen, und sie hatte sie in den ersten Jahren auch aufgezogen. Die beiden hatten ein inniges Verhältnis. Fast schon zu innig. Man mochte meinen, Kathi fühlte sich zu ihr mehr hingezogen als zur eigenen Mutter.
    Widerstrebend nahm sie sich vor, gleich heute mit ihr zu sprechen.
    «Gut, dann will ich dir glauben», seufzte sie, «und jetzt iss deine Suppe. Das Morgengebet beginnt gleich. Du willst doch nicht zu spät kommen.»
    Kathi lächelte zustimmend. Aber auch das war eine Lüge.

[zur Inhaltsübersicht]
    3
    Grit hatte behauptet, sie sei bereits sechzehn Jahre alt. In Wirklichkeit war sie aber erst vierzehn. Das hätte gemeinhin keinen Unterschied gemacht, wenn nicht ein angesehener Stadtrat darauf hereingefallen wäre.
    Grits Brüste hatten sich im letzten Jahr prächtig entwickelt, ebenso ihre Hüften, die sie mittlerweile vortrefflich zu schwenken verstand. Die Männer schenkten ihr viel Aufmerksamkeit dafür. Das kupferrote Haar reichte ihr bis auf den Rücken, und wann immer sich die Gelegenheit bot, trug sie es offen. Außerdem besaß sie ein verschmitztes Lächeln, das mitunter Begehrlichkeiten weckte. Das kümmerte Grit jedoch nicht. Solange die Kerle für ihre Gesellschaft zahlten, konnten die sich einbilden, was sie mochten.
    Valthin, der Wirt des Gasthauses Stachel am Markt, wusste das zu seinem Vorteil zu nutzen. Seitdem er Grit in seine Dienste genommen hatte, waren die Tische in der Gaststube wieder besser besetzt, und der dünne Wein rann leichter die Kehle hinunter. Gerne ließen sich die Kerle von ihr den Wein einschenken – und der Phantasie freien Lauf. Meistens waren es ungehobelte Burschen, die er mit dem Stock disziplinieren musste, wenn sie zu dreist wurden.
    Mitunter kam es vor, dass ein Reisender Gefallen an der hübschen Bedienung fand und alle Vorsicht in der fremden Stadt fahrenließ. Wenn Grit ein Geschäft witterte, setzte sie sich zu ihm und hörte aufmerksam zu, woher der Fremde kam, wohin er wollte und ob er alleine reiste. Jenseits der Stadttore, in sicherer Entfernung zu den Landsknechten des Bischofs, sollte sich seine Offenheit rächen. Der Überfall kam überraschend, aber präzise. Grits Komplize wusste, wo und wonach er suchen musste.
    An diesem Morgen brannte Grits Herz lichterloh. Sie war zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt. Das spürte sie genau, denn noch nie zuvor hatte sich ein Mann so sehr für sie eingesetzt wie der Stadtrat Christian Dornbusch. Vielleicht hatte er ihr sogar das Leben gerettet, denn mit dem Hexenkommissar Doktor Faltermayer war nicht zu spaßen.
    Es war vor drei Nächten gewesen. Faltermayer war mit seinem Kollegen Doktor Dürr und dem Stadtrat Dornbusch im Stachel zu Gast gewesen. Die vornehmen Herren hatten Wichtiges zu besprechen und deshalb in
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