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Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)

Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)

Titel: Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Achternbusch, der
    Bayerischer Gockel, dessen populärer Name wohl dem Umstand zu verdanken ist, daß das Vieh schon um acht Uhr morgens «achtern» aus dem Busch kräht. Im Volk unbeliebt und Gegenstand vieler Zivilprozesse. Vor einigen Jahren berichtete die Presse: In der Gemeinde Eching am bayerischen Ammersee wohnten seinerzeit 1404 Menschen, 669 Rinder, elf Schweine, drei Schafe und 15 Hähne. 14 davon sind normale deutsche Haus- und Hofgockel. Einer aber ist etwas Besonderes: ein Achternbusch-Zwerghahn namens «Tscheki». Er mißt von seinen gefiederten Füßen bis zum blaßrosa Kamm nur 16 Zentimeter. Seine Stimmbänder sind dafür um so kräftiger ausgebildet. Und das ist der Grund, weshalb sich die bayerische Justiz damals über Monate mit dem Federvieh beschäftigen mußte. Am Ende fällte die 4. Zivilkammer des Augsburger Landgerichts als Berufungsinstanz ein abschließendes Urteil im Hahnen-Kampf: Tschekis Kikeriki galt als unzumutbare Lärmbelästigung. Die Richter teilten damit die Ansicht der Familie Rudolf und Emilie Kofron, die mit Tochter und Schwiegermutter in der Greifenberger Straße 8a in Eching wohnte. Mauer an Mauer mit Tscheki, zwei Hennen, einer Wachtel und sechs Fasanen. Die Geflügelzucht gehörte dem Nachbarn Franz Gebele, 56, mit dem die Kofrons anfangs noch freundschaftlich per «Du» waren. Das wurde schlagartig anders, als der Schreiner Gebele an Stelle seines altersschwachen Dorfgockels vor zwei Jahren den Zwerghahn kaufte. «An und für sich hab’ ich nichts gegen Hähne», versicherte Rudolf Kofron, 41.
    Aber Tscheki krähe nun mal nicht wie ein normaler Hahn, sondern mehr wie eine hysterische Operndiva: «schrill, laut und oft». Als Schichtarbeiter kam Rudolf Kofron meist erst gegen ein Uhr ins Bett. «Und drei, vier Stunden später weckt ihn dies gottserbärmlich graisliche Geschrei wieder auf», klagte seine Frau. Man versuchte es mit Ohrstöpseln, Schlaftabletten und einem «vernünftigen Gespräch» mit dem Gebele. Aber der Bauernsohn fragte nur verblüfft: «Soll ich dem Gockel vielleicht den Schnabel zubinden?» Da zogen die Kofrons vor Gericht: mit sieben Zeugen, einem Tonband und einer Kikeriki-Statistik, die bewies, daß Tscheki an hellen Sommertagen schon morgens ab 3   :   40 Uhr schreit … «bis zu 40 mal in der Stunde, durchdringend und schrill». Das Landsberger Amtsgericht beriet lange, ob in diesem Hahnenstreit nur «eine subjektive Geräuschempfindlichkeit der Nachbarn» oder «eine objektive Ruhestörung» durch einen Zwerghahn vorlag – und gab schließlich dem jammernden Schichtarbeiter recht. Tscheki erhielt Kikerikiverbot.

Bachmann, der
    Der Totenkopfschwärmer wird von der österreichischen Landbevölkerung die «Große Somnambule» genannt. Das leitet sich daher, daß der mancherorts als Unglücksbote verrufene Nachtfalter – der übrigens auch tagaktiv ist – wie betrunken auf Lichtfallen reagiert. Ein berühmter Schweizer Spezialist hat zum Zweck des Anlockens unter einem Laken aus dünner Leinwand das Licht einer Quecksilberdampflampe (wie sie auch auf Theaterbühnen verwendet werden) installiert, dazu eine sonst nur aus Romanen bekannte Schwarzlicht-Neonröhre: und schwirr blobb, schwirr blobb, mit einem an experimentelle Lyrik erinnernden Geräusch, läßt sich die Große Somnambule, vom Kunstlicht verführt, nieder. Oft hat der braun in braun gemusterte Falter mit seinem schönen Pelz am Kopf sich zuvor an Honig gütlich getan, den er aus Bienenstöcken in der Landschaft um Rom stibitzt. So gesättigt, läßt er sich in Schnappdeckelgläschen bugsieren, die jenen Schweizer Spezialisten bei Erhalt in einen Glückstaumel versetzen, obwohl er weiß, daß es sich um ein Exemplar handelt, das auf der roten Liste bedrohter Arten steht. Die genauen Ergebnisse seiner Forschung hat der Lichtfallensteller einer Akademie übergeben und auf Jahrzehnte sekretieren lassen.

Bernhard, der
    Fledermausartiger Totenvogel, dessen Flügel ihn klebrig umschlingen. Ein nasenförmig vorspringender Schnabel läßt ihn auf verzerrte Weise menschlich aussehen – weswegen ländliche Bewohner sich vor dem Tier fürchten, das vornehmlich auf Friedhöfen oder in Spital-Gärten nistet und als bösartig gegenüber seiner Umwelt gilt. Nachtsegler von großer Ausdauer, der bei seinem schweigenden Ausschwingen nur gelegentlich klagend klingende Unkenrufe ausstößt, die zu vielerlei Sagen und Überlieferungen Anlaß gaben; so gilt es in ganz Oberbayern als verbürgt,
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