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Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Titel: Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)
Autoren: Benedikt Herles
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Nacht hat man dem Projektleiter zur Verfügung zu stehen. In einer steilen Hackordnung werden ungeliebte Aufgaben nach unten delegiert. Die To-dos, die am Ende der betrieblichen Nahrungskette übrig bleiben, wären auch ohne Studium zu bewältigen. »Hübsch das doch mal auf!«, »Stell das mal auf diese Art und Weise dar!« oder »Gleich das mal optisch an!«. So lauten die üblichen Aufträge. In ungezählten Nachtschichten machte ich nichts anderes, als PowerPoint-Schaubilder zu formatieren. Wie trainierte Affen saßen wir vor unseren aufklappbaren Rechnern und versuchten die Flut immer neuer Anweisungen zu bewältigen. Eine Deadline jagte die nächste. Wenn es ganz schlimm kam, reichte die Zeit nicht aus, um auf die Toilette zu gehen. Das Tippen der Tasten war nicht selten die einzige körperliche Betätigung über Stunden.
    In meinem ersten Projektteam war ich eingeteilt für das sogenannte Program Office. Bei der Umsetzung größerer Unternehmens-Transformationen sorgt es dafür, dass die betroffenen Abteilungen der beratenen Firmen rechtzeitig Resultate liefern. Die Leute im Program Office schauen auf die Zahlen und klopfen den Verantwortlichen gegebenenfalls auf die Finger. Das könnte spannend sein – ist es aber nicht. Mein Projektleiter war ein promovierter Naturwissenschaftler, der pro Tag gefühlte zwei Liter Kaffee trank. Er übertrug mir die Aufgabe, sogenannte Templates, also Blanko-Formatvorlagen, für Management-Unterlagen zu entwerfen. Knapp zwei Monate später war ich der Herr der Vorlagen. Ein Bürokrat. Es war eine komplett inhaltsfreie Arbeit. In stundenlangen Meetings mit dem Kunden diskutierten wir unter anderem ausführlich über die Frage, ob pro »Template« ein, zwei oder drei Folien ausreichend seien. Wir formatierten hin und her, hatten von jedem Dokument mindestens drei Versionen und machten es am Ende doch wieder anders. Der Kunde zahlte viel Geld für ein Beraterteam, dessen jüngstes Mitglied wenig anderes zu tun hatte, als den Papierkrieg zu maximieren. Komisch fand das niemand. Als Wissenschaftler, erklärte mir mein Projektleiter, würde er meine Zweifel verstehen. Aber dies sei eben die Business-Welt. Und die sei anders. Das würde ich nicht ändern können. Jeder müsse für sich entscheiden, ob er Lust darauf habe.
    Machen, nicht denken
    Inhaltliche Arbeit ist bei großen Mandaten den Partnern, bei kleinen den Projektleitern vorbehalten. Allen Hierarchiestufen darunter kommen fast nur ausführende Aufgaben zu. Der Partner »leveraged« sich mit Hilfe seines Teams. Soll heißen: Seine Ideen lassen sich erst mit einer ganzen Mannschaft im Hintergrund optimal umsetzen. Während der ersten Jahre ist man Zuarbeiter. Die »Vice Presidents«, wie die oberste Ebene heißt, verkaufen Projekte mit konkreten Zielvorstellungen. Wenn der Auftrag erteilt wird, steht das Ergebnis der Analyse meines Erachtens nicht selten schon längst fest. Was folgt, sind meist nur noch Fleißaufgaben. In penibler Kleinarbeit und mit Hilfe gigantischer Excel-Tabellen müssen die von den Chefberatern vorweggenommenen Empfehlungen bestätigt werden. »Hypothesengetriebenes Arbeiten« nannten Kollegen beschönigend diesen Arbeitsstil.
    Eigene Gedanken und Einfälle waren effektiv nur dann gewünscht, wenn sie der Unterfütterung bestehender Thesen dienten. So verkam meine tägliche Arbeit zur Farce. »Der Wurm soll dem Fisch schmecken und nicht dem Angler«, sagte mir der Leiter meines zweiten Projekts, als ich Vorschläge zur Gestaltung einer Analyse machte. Mein Job bestand lediglich darin, Strategien aus der Schublade hübsch zu verpacken in kompliziert und maßgeschneidert anmutenden Management-Unterlagen. Hundert Folien für ein einstündiges Treffen waren keine Seltenheit. Wir bombardierten unsere Klienten mit immer weiteren – ich meine nutzlosen – Analysen. Am Ende erzählten wir dem Kunden, was er hören wollte – oder was ihn dazu bringen sollte, noch mehr Beratungsprojekte einzukaufen.
    Abwechslung boten gelegentliche Unterstützungsaufgaben sonstiger Art. Einmal flog ich für zwei Nächte nach São Paulo, mehr oder weniger nur um bei einer Sitzung Protokoll zu führen. Ich landete am Sonntagmorgen, begab mich ins Büro und stellte sicher, dass alle für die Teilnehmer vorgesehenen Laptops einwandfrei funktionierten. Dann zählte ich die Farbstifte und befestigte einige Grafiken und Abbildungen an den Wänden. Am nächsten Tag schrieb ich eifrig mit und half dabei, dass der Nachschub an
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